[14] 8. Die kluge Bauerntochter.

(Aus Zwehrn.) Hier hat sich deutliche Spur der alten Sage von Aslaug, Tochter Brynhilds und Sigurds erhalten. Wiewohl eine königlich geborene, die durch Unglück in die Hände von Bauern gerathen ist, nicht ausdrücklich genannt, zeigt sich doch klar dasselbe Verhältniß. Sie ist über ihren Stand und ihre Eltern weise und der König wird wie Ragnar auf Kraka (so heißt Aslaug als Bäuerin) durch ihre Klugheit aufmerksam gemacht. Um sie zu prüfen, legt er ihr gleichfalls ein Räthsel vor, das sie durch ihren Scharfsinn glücklich und rasch löst. Der Inhalt des Räthsels selber stimmt nah zusammen und es sind nur verschiedene Aeußerungen desselben Gedankens. Der nord. König verlangt von Kraka (Ragnar Lodbroks S. Cap. 4.), sie[14] solle kommen: »gekleidet und ungekleidet, gegessen und ungegessen, nicht einsam und doch ohne jemands Begleitung.« Sie wickelt sich, wie hier, nackt in ein Fischgarn, darüber her ihr schönes Haar, beißt ein wenig in einen Lauch (Zwiebel) so daß man den Geruch davon empfindet und läßt ihren Hund mitlaufen. Zu vergleichen ist auch ein ähnliches Räthsel in andern Erzählungen1, so daß es überhaupt als ein altes Volksräthsel erscheint.

Auch in der fortwährenden Klugheit und wie sie sich des Königs Liebe wieder zuwendet, der die Bäuerin zurückschicken will, gleicht die der Aslaug. Ragnar war in Schweden beim König Eistein, dessen schöne Tochter Ingeborg ihm gefiel, auch[15] seine Leute rathen ihm eines Bauerntochter nicht länger bei sich zu haben. Als er aber nach Haus gekommen ist, und beide zu Bett gegangen, weiß durch ihre Vögel (Raben: Geist) Aslaug schon sein Vorhaben, entdeckt ihm ihre königliche Abkunft und gewinnt dadurch wieder seine Neigung. Cap. 8.

1

Nämlich Pauli's Schimpf und Ernst enthält einen Schwank, wornach einem die Strafe erlassen werden soll, wenn er kommt: »halb geritten und halb gegangen, mit seinem größten Feind und größten Freund.« Der Schuldige kommt mit seinem Pferd, indem er den rechten Fuß in den Steigbügel setzt, mit dem andern auf der Erde fortstelzt; mit seiner Frau, die ihn auf eine Ohrfeige gleich als Mörder anklagt, (was er ihr fälschlich als ein Geheimniß anvertraut hatte) und sich so als sein größter Feind ausweist; und mit seinem Hund, der sein größter Freund ist, weil er, nachdem er ihn geschlagen, auf sein Locken, wedelnd zurück kommt. Hans Sachs erzählt auch die Geschichte sehe gut in der Sache übereinstimmend, ed. 1560. fol. 78. Eine abweichende Recension, welche die Gesta Romanor. enthalten (lat. Ausg. Cap. 121. deutsche, Cap. 24.) hat auch die Aufgabe etwas anders: der Schuldige bringt nämlich kein Pferd, sondern legt das rechte Bein auf den Hund, und weil er noch ferner seinen besten Spielmann sollte mitbringen, hat er sein Kind mitgenommen, als welches ihm, wenn es vor ihm spiele, die größte Kurzweil mache. – Endlich kommt dasselbe in einer Erzählung der Cento novelle antiche (Torino 1802.) S. 163. vor. Wer zu einem bestimmten Tag »seinen Freund, Feind und Spielmann mitbringt« soll die Gnade des Königs und große Schätze haben, das wird wie dort aufgelöst; nur, daß er halb geritten und halb gegangen kommen soll, fehlt

Quelle:
Jacob und Wilhelm Grimm: Kinder- und Hausmärchen. 2 Bände, Band 2, Berlin 1812/15, S. XIV14-XVI16.
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