12.

Beschluß deß Jahrs

[61] 1.

In dem das Jahr in nichts verschwindet:

Vnd eine newe zeit sich findet:

In dem die letzte Nacht vergehet

Vnd gleich alß auß der grufft entstehet.

Laß vnß mein Geist/ dessen Allmacht: Laß vnß diesen König ehren.

Dessen Crone/ Thron vnd wesen/ wird mit keiner zeit auffhören.


2.

Wir/ die wir eine weile blühen.

Vnd mit der zeit von hinnen ziehen.

Wir werden mit der zeit in Erden

Vnd leichten Staub verkehret werden/

Der vor Ewigkeit geherrschet: vnd in Ewigkeit wird bleiben

Heist vns Menschen wieder kommen; Doch jhn selbst mag nichts vertreiben.


3.

Er hat vnß Maß vnd Ziel gesetzet:

In dem die Welt vnß jhre schätzet:

So bald wir arme diß erreichen

Muß dieser Wangen Ros' erbleichen

Vnter dessen läst er stündlich/ seinen jmmerreichen Segen

Vber diß was Athem holet/ fallen alß gehäufften Regen.
[61]

4.

So bald die Morgen rötte lachet:

So bald die güld'ne Sonn' erwachet/

So offt der heisse Mittag schmachtet/

So offt die Nacht den Tag nicht achtet:

Muß sich/ was nur ist verwundern/ über seiner grossẽ Trewe:

Die ob allem was hier lebet/ jeden Augenblick wird newe.


5.

So bald wir dieses Licht geküsset.

Vnd die geschmückte welt gegrüsset;

Wenn wir die zarte Zungen zwingen/

Von seiner wunder ruhm zu singen

Wenn wir leben/ wenn wir alten/ wenn die greissen Haar vns färben/

Steht vnß seine gunst vor augen/ die (sterb alles!) nicht kan sterben.


6.

Wenn der Schnee die Felder kleidet/

Wenn der süsse Westwind weidet/

Wenn die heissen Wälder brennen:

Wenn ein Baum läst frucht erkennen.

Kennet man die frucht der Liebe: die vnß für vnd für vmbgibet/

Die vnß auffhält wenn wir straucheln: vnd erquickt wenn wir betrübet.


7.

Wenn wir vnß in wehmutt stecken:

Wenn vnß Angst vnd ach erschrecken:

Wenn vnß Geist vnd kräfft entgehen

Wenn wir auff der gruben stehen.

Wenn wir diesen Geist hingeben/ vnd diß müde Fleisch gesegnen:

Pflegt mit offnen Hertz vnd Armen/ Er alß Vater zu begegnen.
[62]

8.

Last die schnellen Jahre flihen/

Wenn wir auß dem leben zihen

Wil ins Schloß der ewigkeiten

Vnß/ die starcke faust einleitten.

Mögen wir noch was begehren: wann er vnß so viel versprochen:

Vnd durch seines Sohnes sterben/ vnsers todes Reich zubrochen.


9.

Der du vnß vnsterblich machest:

Der du ewig für vns wachest

Vnd was ewig vnß gewisen

Sey GOTT ewig hoch geprisen.

Vnter dessen laß die Jahre/ die du vnß noch hier wilt geben:

So in deinen Ehren schlissen/ alß mit deinem dienst anheben.


Ende deß 2. Buchs.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 61-63.
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