26. Der Stock als Verräther.69

[40] In Berlin hat einst ein reicher Bäcker gelebt, der aber sein Geschäft aufgegeben hatte und mit dem gesparten Gelde Wuchergeschäfte trieb. Zuletzt gingen aber dieselben nicht mehr so recht, weil er gar zu hohe Zinsen nahm und wer einmal in seine Hände fiel, sicher nicht zum zweiten Mal zu ihm borgen kam. Er beschloß, auf andere Weise Geld zu verdienen, selbst als Borger aufzutreten und alle, die ihm vertrauten, um ihr Geld zu bringen. Zuerst ging er also zu seinem frühern Gesellen und jetzigen Nachfolger im Geschäft, welches er an ihn verkauft hatte, und bat ihn, er möge ihm doch auf drei Tage mit 50 Ducaten aushelfen, da er sich gerade selbst ausgegeben und eine bedeutende Zahlung zu machen habe. Sein früherer Geselle hatte auch kein Arg, er wußte, daß sein früherer Meister selbst Geld vollauf habe und ihm ein sicherer Schuldner sey; er gab ihm also die verlangten 50 Ducaten sofort, ohne einen Schuldschein zu verlangen. Jener aber lachte sich ins Fäustchen und nahm sich vor, seinem vertrauensvollen Geschäftsnachfolger auch nicht einen Heller wiederzugeben. Es vergingen also drei Tage und kein Schuldner ließ sich bei dem Darleiher sehen; derselbe wartete geduldig noch ganze acht Tage, als dann sein alter Meister immer noch nicht erschien, da ging er zu ihm und bat sich sein Geld aus. Allein wie ward ihm, als jener zwar nicht in Abrede stellte, die 50 Ducaten geliehen zu haben, aber hoch und theuer versicherte, sie ihm am bestimmten Tage wiedergebracht zu haben. Vergebens stellte er seinem früheren Meister vor, daß er sich irre und ihm seine Schuld nicht bezahlt habe; derselbe ward grob und beschuldigte ihn geradezu, er wolle das Geld zweimal bezahlt haben und ihn betrügen, nicht er ihn. Gleichwohl ließ der junge Bäcker sich dadurch nicht irre machen, sondern ging hin vor Gericht und brachte seine Sache an. Nun wurden aber zu der Zeit, wo dies geschehen ist, noch nicht so lange Prozesse geführt, als dies jetzt der Fall ist, sondern die Händel zwischen Kläger und Beklagten wurden einfach nach mündlicher Verhandlung beider Theile durch den Richter geschlichtet. Es wurde also dem alten Wucherer ein Tag anberaumt, wo er vor Gericht zu erscheinen und sich zu verantworten hatte. Wie vorher schon räumte er auch hier das Factum des Darleihens ein, behauptete aber, die geliehene Summe zu rechter Zeit zurückgegeben zu haben und erbot sich, die Wahrheit seiner Aussage eidlich erhärten zu wollen. Sein Gegner nahm auch sein Anerbieten an, weil er glaubte, der Wucherer werde zuletzt doch wegen einer für ihn so geringfügigen Summe keinen Meineid schwören, allein er irrte sich; als der zum Schwur angesetzte Tag erschien, da war auch der alte Wucherer da und erbot sich, den von dem Richter formulirten Eid, daß er nämlich dem jungen Bäcker richtig und gewissenhaft die geliehenen 50 Stück Ducaten zurückgegeben habe, zu leisten. Er reichte seinem herzu getretenen Gegner seinen Hut und Stock mit den Worten hin: »Haltet doch Eurem alten Meister aus Gefälligkeit einen Augenblick sein spanisches Rohr« und[40] sprach dann, nachdem derselbe, er wußte selbst nicht warum, seinen Wunsch erfüllt und Hut und Stock in seine Hände genommen hatte, ohne Bedenken die vorgeschriebene Eidesformel. Kaum hatte er dieselbe aber vollends ausgesprochen, so entstand unter den Anwesenden ein lautes Murren, weil Jedermann überzeugt war, daß eben ein Meineid geschworen worden sey. Als er jedoch natürlich von dem Richter freigesprochen und der junge Bäcker mit seiner Klage abgewiesen ward, da drängten sich Letzterer und seine Freunde hinter dem alten Wucherer her, und dieser, Mißhandlungen fürchtend, blieb auf der hölzernen Treppe vor der Thür der Rathsstube in dem alten Thurme des Berliner Rathhauses plötzlich stehen, indem er sein gewichtiges spanisches Rohr drohend gegen seine Verfolger aufhob und rief: Ihr sollt mich nicht ungestraft um meine Ehre und guten Ruf gebracht haben, denn wer selbst betrügen will, traut Andern dasselbe zu! Dies war aber doch dem jungen Bäcker und seinen Freunden zu arg, sie stürzten auf ihn los, um ihn wenigstens die Treppe hinunter zu werfen, allein der alte Wucherer hielt festen Stand und ließ seinen Stock wacker auf den Rücken und Köpfen seiner Widersacher tanzen. Da auf einmal, o Wunder! sprang der Stock bei einem gewaltigen Schlage mitten auseinander und eine Menge Goldstücke rollten aus dem Innern desselben die Treppenstufen hinab. Der alte Bösewicht hatte einen hohlen Stock gehabt, in denselben die 50 Ducaten gethan und beim Schwörungstermine buchstäblich die 50 Ducaten, ehe er schwur, dem Kläger in die Hand gegeben, also dem Wortlaut nach keinen Meineid geschworen. Allein das Volk war anderer Meinung über diesen jesuitischen Kunstgriff, es fehlte wenig, er wäre der allgemeinen Entrüstung auf der Stelle zum Opfer gefallen, wäre nicht sein Gegner selbst zu seiner Vertheidigung und Schutze aufgetreten. Das Gericht aber verurtheilte den meineidigen Wucherer nicht blos zu reichlicher Wiedererstattung, sondern auch Zeit seines Lebens eine seidne Schnur um den Hals zu tragen, welche die Stelle eines Stricks vertrat und nach der der Scharfrichter von Berlin jährlich einmal von Amtswegen sehen mußte, für welchen Dienst ihm aber der Bäcker jedesmal funfzig Gulden auszuzahlen hatte.

69

Nach Cosmar Bd. I. S. 24 etc. und Ziehnert Bd. II. S. 93 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 40-41.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sagenbuch des Preußischen Staats
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band