57. Sagen von dem Einfall der Polen vnd Litthauer in Brandenburg.101

[73] Im Jahre 1326 ist der König Vladißlaus von Polen mit den Litthawern vnd Reussen, die er zu Hülff genommen, in die Newe, Mittel- vnd Vckermarck gefallen vnd hat er in kurtzer Zeit vber hundert vnd viertzig Dörffer, auch wol soviel Kirchen, Klöster vnd Klausen geplündert vnd außgepochet vnd ohne den andern mercklichen Raub auch bey sechs Tausend Christen gefangen weggeführet. In welchem Zuge sonderlich die vngleubige Litthawer vnd Reussen gegen die Christen große Tyranney geübet, viel Menschen jung vnnd alt jämmerlich ermordet, Frawen vnd Jungfrawen Geistliches vnd weltliches Standes geschwechet vnd genothzüchtiget vnd andere viel mehr vnchristliche Sachen weggenommen vnd getrieben. Bey welchem sich ein Exempel oder[73] zween zugetragen, die nicht unwirdig, dieses Ohrts zu beschreiben vnd zu mercken. Vnter den gefangenen Jungfrawen, aus denen die Bojaren, Reussische vnd Litthawische Herren die schönsten zu jhrer Lust außlaßen, war sonderlich eine vom Adel fürtrefflich schöne, vmb welche sich jhrer zween von den fürnemesten Herrn fast zancketen, auch so weit einer dem andern im Wege stunden, daß keiner ohne des Andern Tod seinen Willen haben oder volnbringen möchte. Dieses sahe ohngefehr der Litthawer Oberster Feldhauptman Dauid von Garthin, des Großfürsten Gedemini Marschalck, den verdros es sehr, daß vmb ein eingefangen Weibßbild zween so tapffere Helden (wie er sie dafür schetzete, denn das Vnrecht, so sie an die Jungfraw gar unbilliger Weise legen vnd vben wolten, achtet er gar geringe) sich selbst vnter einander verderben vnd vmb Leib vnd Leben bringen solten, legte sich bald dazwischen, sagte, sie solten jhm die Sache anheimstellen, er wolte den Hader leichtlich entscheiden. Als sie nun beyde darin verwilligten, hieb er mit seinem Säbel die Jungfraw in jhrer Gegenwart mitten von einander vnd sprach, es möchte nun ein Jeder vnter jhnen ein Stück vnd also zugleich einer soviel als der ander von der geliebten Jungfrawen heimnemen.

Ein ander Bojar vnter demselben Hauffen hatte eine schöne Jungfraw aus einem Kloster geraubt102, vnnd ob er wol balde mit Bitten balde mit Drewworten an jhr gewesen, das sie seinen Willen thun solte, hat er sie dennoch nicht können erweichen. Derwegen hat er sich vnterstanden, dieselbe wider jhren Willen mit Gewalt zu schwechen. Da sie nu der Gewalt zu widerstehn viel zu gering vnd schwach war, bat sie den Barbarum jtzt mit weinenden Augen, bald aber mit Liebkosen, er wolte jhrer Ehre verschonen, so wolte sie jhm dagegen eine solche Verehrung thun, dauon er sich vnter allen sterblichen Menschen wol den glückseligsten in der gantzen Welt schetzen möchte. Jenem wurden von diesen Worten die Ohren so weit, daß er aus Wunder fragete, was köstlicher Verehrung das jmmer sein möchte. Sie antworte jhm, es were eine bewerte Kunst, wenn sie jhm dieselbe lehrete, so köndte er die Tage seines Lebens mit keinem Waffen, Schwerd, Spieß oder Pfeil an seinem Leibe verwundet oder versehret werden. Ob er nun wol gentzlich entschlossen war, seinen Willen zu schaffen, jedoch damit er die Kunst erst lernen möchte, verzog er sein Fürhaben vnd sagte ihr zu, sie bey Ehren zu behalten, wo sie jm die Kunst, jhrer Verheißung nach würde lehren. Es sind (sagte sie) wenig verborgene zauberische Worte, die ich dafür spreche, vnd damit Du an solcher Kunst nicht mögest zweiffeln, magstu sie an mir erstlich probieren. Indem knieete sie für ihm nieder, segnete sich mit dem Creutze vnd betete den Verß aus dem ein vnd dreißigsten Psalmen: In manus tuas, Domine, commendo spiritum meum. Diese Worte verstund jener nicht, sondern meinete, es weren die starcken vnuerstendlichen Zauberwörter, darauff die gantze Kunst beruhete. Da sprach die Jungfraw ferner mit ausgestrecktem Halse, er solte nun getrost zuhawen, so würde er gewisse Prob vnd Bewehrungen der Kunst befinden. Was geschahe? Er zückte ohn ferner Hinterdencken den Sebel vnd schlug jhr mit dem ersten Streich das Haupt herab. Da sahe er allererst, daß er durch diese List betrogen vnnd sie jhre Ehre lieber als das Leben gehabt hatte.

101

Nach Angelus a.a.O. S. 134.

102

Diese Sage versetzt Curaeus, Chron. Silesiae S. 8 nach Schlesien.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 73-74.
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