84. Die vermauerten Thore in den Marken.135

[92] Da die meisten Städte ihre Mauern und Thore haben, so ist doch ein sonderbares Merkmal bei denselben, desgleichen sich in andern Ländern, so viel man weiß, wenig findet, daß bei ihnen neben den gewöhnlichen Thoren ein anderes zugemauertes Thor zu sehen ist, welches auch wol das allererste[92] und gleich mit Errichtung der Mauern mag gesetzt worden sein, weil sie mehrentheils gerade auf die Straße der Stadt gehen, die jetzigen offnen hingegen nicht gerade, sondern schräg in die Stadt führen. Sie sind auch unterschiedlich: oftmahl nur eins, zuweilen zwei, auch wohl alle so beschaffen. Die Exempel sind in allen Marken bekannt, deren etliche man auch hier namhaft machen wollen, als in der Prignitz zu Kyritz das Wusterhausische Thor, zu Wittstock das Gräpische; in der Grafschaft Ruppin zu Wusterhausen das Kampelische, zu Gransee beide. In der Neumark sind zu Soldin alle drei so beschaffen; zu Friedeberg auch die beiden, zu Morin und Berlinichen gleichfalls beide Hauptthore; zu Königsberg zwei, das dritte aber und Bernikowische geheißen nicht; zu Schönfließ auch nur zwei, zu Landsberg an der Warthe eins am Mühlthor unter dem dabei befindlichen Thurme; zu Beerwalde auch eins. Zu Woldenborg ist das hohe Thor vermauert gewesen, als aber die Stadt nach dem im Jahre 1710 erlittenen großen Brand wieder erneuert und in eine regelmäßige Gestalt gebracht: so ist solches wegen mehrer Regelmäßigkeit wieder eröffnet und hingegen das bisherige vermauert worden. In der Mittelmark zu Bernau, Fürstenwalde und Mittenwalde eins. Von der Ursache finden sich unterschiedene Vermuthungen. Zu Gransee ward vorgegeben, daß dermaleins ein Kaiser durchgereist, welchem zu Ehren hernach die Thore wären zugemauert worden, damit Niemand mehr durchreisen sollte; welches zwar einige Gleichförmigkeit mit dem zugemauerten Thore in der Alhambra oder königlichen Schlosse zu Granada in Spanien haben möchte, als von welchem Spanische Geschichtschreiber erzählen, daß wie der letzte Mohrenprinz daselbst sich mit der Stadt dem König Ferdinando Catholico ergeben, er unter andern bedungen, daß durch das Thor, aus welchem er herausritte, hinführo Niemand weder aus- noch eingehen sollte, welches auch Ferdinand bewilliget und selbiges fest verbauen lassen.

Aber wenn solche Vermauerung zu Gransee allein geschehen wäre, so möchte diese Ursache statthaben; nachdem aber soviel andere Städte in gleichmäßigem Zustand sich befinden, so ist darauf nicht zu sehen. Etwas scheinbarer ist, was Andere vermuthen, daß es eine Anzeige der vertriebenen Wenden sey, und die Teutschen die Thore, durch welche die Wenden aus- und eingegangen, nicht würdig geachtet, sich ihrer mehr zu gebrauchen, sondern ihnen neue Thore machen lassen, wie man denn auch noch in etlichen Kirchen auf dem Lande findet, daß die teutschen Einwohner sich der gewöhnlichen Thüren gebrauchen, den Wenden aber solches nicht erlaubt worden, als welche durch eine kleine hierzu gemachte Thüre hineingehen müssen. Aber die Wenden auf dem Lande sind nicht haufenweise verjagt worden, sondern haben gemächlich abgenommen, und die Stadt Königsberg in der Neumark ist lange nach der Wenden Zeit erbaut worden und sind dennoch zwei zugemauerte Thore daselbst befindlich. Ist also wohl vermuthlich, was von vielen Andern dafür gehalten wird, daß es ein Andenken des Waldemarischen Krieges und gleichsam eine poena moralis derjenigen Städte gewesen, welche sich auf des von Neuem angekommenen Waldemars Seite begeben, und nachdem sie sich hernach mit dem Markgrafen Ludwig dem Aeltern und Ludwig dem Römer ausgesöhnet, ihnen solches auferlegt worden, daß, weil sie im Abwege von ihrem einmal erkannten Landesherrn gerathen, sie hernach durch solche abwegige Thore auch aus- und eingehen müssen.

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S. Beckmann, Th. I. S. 283 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 92-93.
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