88. Die Magd und die Männlein zu Help.139

[94] Am Palmsonntag des Jahres 1374 ist ein Mägdlein von 17 Jahren im Dorfe Help, eine halbe Meile von der Stadt Arnßwalde in der Neuen Mark gelegen, neben andern zum Sacrament des Altars gegangen. Da sie aber des Abends den andern Mägdlein, die auf den Gassen umhergelaufen und gespielet, zugesehen, hat sie ein kalter Wind angeblasen, davon sie im Haupte schwach geworden, also daß sie sich zusammt den Kleidern ins Bett gelegt, und ist von der Zeit an nie aus dem Bett gekommen, hat auch bis ins fünfte Jahr also lahm, blind, ungegessen und ungetrunken gelegen und nichts geredet, ausgenommen wenn sie gefragt worden, hat sie Ja oder Nein gesagt. Es haben's viele dafür gehalten, als sollte sie besessen gewesen sein. Am zweiten Tag des Augustmonats des Jahres 1578 ist sie nach Arnswalde gebracht worden, da sie denn im Hospital des h. Geistes Tag und Nacht bewacht worden. Als sie nun allda auch bis am vierten Tag im Bett gelegen, hat sie angefangen, mit dem Munde Anzeigung ihres Hungers zu geben, und als sie gefraget worden, ob sie essen wollte, hat sie wider ihre Gewohnheit Ja gesagt, und ist ihr darauf eine Weinsuppe auf Geheiß des Pfarrherrn allda gebracht worden, die sie mit einem Löffel gegessen. Da sie aber gefraget[94] worden, wie es schmeckte, hat sie geantwortet: wohl. Letztlich hat sie der Wärterin auf ihre Frage Bericht gethan, daß sie stets zuvor die fünf Jahre auch gegessen und getrunken, aber kleine Männlein und Jungfräulein, schön geschmückt, die doch keiner im Hause ohne sie gesehen, wären alle Tage unter dem Bette herfürgegangen und hätten ihr Speise von Allem, was sonst im Hause gekocht oder gebraten gewesen, gebracht, hätten sie auch gerne hinweggetragen und ein ander Bild an ihre Statt gelegt, wenns nicht einer im gelben Kleide widerrathen. Sie hat auch gesagt, daß sie gedachte Männlein und Jungfräulein dermaßen gedrückt, daß sie davon an einer Seite lahm geworden, und hätten ihr die Augen zugedrückt, daß sie nicht sehen müssen (wie ihr denn die Augen gar braun gewesen), sie hätten auch ihren Mist und Harn (mit Verlaub zu melden) heimlich in weißen blanken Becken von ihr abgetragen. Da sie auch zuletzt, ehe sie in die Stadt gebracht, von ihnen gespeist worden, hätten sie unter einander gesagt, wenn sie im Dorfe bliebe, wollten sie ihr wohl Speise bringen, aber über Land könnten sie solches nicht thun, hätten sich auch unterstanden, sie wegzutragen, welches aber auf eines Vorbitte unterblieben wäre. Von der Zeit an hat sie zwar alle Wege wie andere natürliche Menschen gegessen, aber gar wenig, hat selten geredet, mit einem Fuß gehinkt und hat niemals wollen allein im Hause bleiben.

Um dieselbe Zeit (1574) ist des Raths Bote zu Arnßwalde, mit Namen Hans Kurtzhalß, krank worden an der fallenden Sucht, ist auch an Händen und Füßen gar verlahmet und hat also etliche viele Jahre gelegen auf geringen Hadern, daß er auch im harten Winter in keine Stuben gekommen. Endlich hat er angefangen greulich zu schreien als ein Besessener, hat geweissaget, auf Bayerisch geredet und hat alle Menschen, auch die ihm sonst von Angesicht unbekannt gewesen, erkannt und genennet, hat die Zauberinnen verrathen, auch ihre Bubenstücke ausdrücklich angezeigt, daß noch ihrer viele darüber haben müssen herhalten. Er hat auch geprediget Gottes Zorn und insonderheit des Herrn Christi verkündigt, dazu auch gewisse Zeichen am Himmel, das Gewitter und den jüngsten Tag. Ueber dies Alles hat er die Leute fleißig zur Buße ermahnt und sich selbst ein Zeichen genannt, daß gleich wie der Bauer im Jüdischen Lande den Untergang der Stadt Jerusalem, er eben also das Ende der Welt anzeigen sollte. Wie es aber endlich mit ihm kommen, weiß man nicht.

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Nach Angelus, S. 372. 378.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 94-95.
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