131. Das Grab im Neuen Garten.183

[129] An der Stelle des Marmor-Palais stand vor dem Jahre 1786 ein freundliches zweistöckiges Haus mit einem ziemlich großen Saale, der sogenannte Puschel'sche Weinberg, welcher von den Offizieren der Garnison in jeder Jahreszeit fleißig besucht ward, theils um dort ihre freie Zeit hinzubringen, theils um kleine Feste unter sich zu feiern. Selbst der Kronprinz und nachmalige König Friedrich Wilhelm II. nahm, angezogen von der schönen Aussicht über den Heiligen-See, oft daran Theil. Später erkaufte er diesen Weingarten nebst noch dreizehn andern, sämmtlich vom großen Churfürsten angelegt, um daraus den freundlichen Park zu bilden, der sich jetzt längs den schön gebogenen Ufern der hellen Wasserfläche hinzieht. Unter den Offizieren, welche diesen Ort zu ihren Spaziergängen wählten, befand sich auch ein junger Mann aus alter Familie, der von Natur einen gewissen Hang zur Schwärmerei hatte und denselben noch durch eifriges Lesen der Dichter jener Zeit vermehrte. So war er auch einst an einem schönen Frühlingsabend zwischen den Gängen der Rebengärten hin an des Weinmeisters Haus gekommen, welches am obern Ende des Sees, da wo jetzt das grüne Haus erbaut ist, stand. Unter dem dichten blühenden Kastanienbaum genoß er den reizenden Anblick über den Heiligen-See nach der Stadt und dem fernen Brauhausberge, und während er so in die durch den schönen Abend in ihm erweckten Träumereien versunken dastand, trat auf einmal die 17jährige schöne Tochter des Weinmeisters aus dem Hause ihres Vaters heraus. Sei es nun, daß das Mädchen wirklich so reizend war, sei es, daß der Offizier diesen Abend in einer mehr als gewöhnlich erregten Stimmung war, er fühlte sich so mächtig zu ihr hingezogen, daß er nach einer kurzen Unterredung ihr seine Liebe gestand. Das junge Mädchen, die ihn schon öfter gesehen hatte, fand[129] sich ebenfalls für ihn eingenommen und so kam es, daß schnell ein Herzensbund geschlossen ward. Sie trafen sich von nun an jeden Abend an diesem Orte und pflanzten einst im Uebermuthe ihrer Wonne zwei junge Lindenbäumchen mit den Zweigen in die Erde, indem sie an das Fortkommen derselben eine frohe Vorbedeutung für ihre baldige Vereinigung im Leben knüpften. Siehe da, die Zweige trieben Wurzeln und die Wurzeln grünten und trieben kräftige Zweige und Blätter, die beiden Linden aber stehen noch jetzt am Ufer des hellen Sees zwischen dem Marmor-Palais und dem rothen Hause und die Zweige aus ihren Wurzeln sind hoch emporgewachsen und wölben sich blühend zu einer schattigen Laube; allein gleichwohl ist diese Vorbedeutung für die Liebenden trügerisch gewesen, noch ehe der Herbst die Blätter von den Bäumen warf, trat der Ernst des Lebens zwischen sie und bald sahen sie ein, daß die Verhältnisse ihre Vereinigung unmöglich machten. Sie beschlossen also, dem Schicksale Trotz zu bieten und suchten zusammen in der Nähe der Stelle, wo sie so oft zusammen gestanden, in der Tiefe des Sees die Ruhe, die sie im Leben nicht mehr finden zu können dachten. Befreundete Hände bargen in einer rauhen Herbstnacht die starren entseelten Hüllen in einem gemeinsamen Grabe, welches sie ihnen in der Mitte der Wiese, die zwischen dem grünen Hause und der Meierei von Erlengebüsch und hängenden Weiden umgeben ist, gegraben hatten. Die beiden Eichen, die noch jetzt auf diesem Hügel stehen, erinnern allein daran, daß hier unten zwei liebende Herzen im Tode vereint schlummern, welche das Leben zu trennen suchte.

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Nach Reinhard S. 215 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 129-130.
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