134. Von dem Anfang der Reformation zu Stendal.187

[131] Im Jahre 1530, während der Churfürst von Brandenburg zu Augsburg war, entstand zu Stendal ein Aufruhr wegen der Religion. Es hatte nämlich der Rath daselbst in allen Pfarrkirchen von den Predigtstühlen verkünden lassen, es solle sich ein Jeder nach alter kaiserlicher Gewohnheit halten und von Martin Luther's Ding fern bleiben. Das ist auch so geschehen, ausgenommen am St. Annentage, da hieß Herr Kuchenbecker, der Mönch im St. Franciscuskloster, in der Predigt die Leute deutsch singen, wie man zu Magdeburg und in vielen andern Städten singe und zwar die Lutherischen Lieder, welche die sächsischen Tuchmachergesellen aus ihrem Vaterlande mit nach Stendal gebracht hatten. Da schwiegen die Leute noch eine Weile still, da fing er wieder an und sagte: »We et kan, der heve an«, er selbst könne es nicht. Da huben die Handwerksgesellen und andere lose liederliche und böse Gesellen an zu singen und sangen hernach in allen Sermonen; der Rath ließ es verbieten, sie sangen aber gleichwohl, denn es war um diese Zeit so viel los Volk und arme Gesellen zu Stendal, wie nie zuvor. Nun hat der Churfürst einen Hauptmann und andere Ritter nach Stendal geschickt, um Ruhe zu stiften, der hat die Bürger vor das Rathhaus kommen lassen und den Willen des Churfürsten kund gethan, auch dem Kuchenbecker befohlen, die Leute nicht singen zu lassen, und wenn sie das nicht thun wollten, vom Predigtstuhl herabzugehen. Dies ist auch so geblieben bis zum Himmelfahrtstag, dann sind aber der Hauptmann und seine Leute ins Kloster gegangen, um den Kuchenbecker zu ermahnen, allein der ist aus Furcht entwichen und hat sich zu den losen Gesellen begeben und sie aufgefordert, sich seiner anzunehmen, und so ist denn ein greulicher Auflauf entstanden, bei dem viel Blut vergossen ward, und als am andern Tage der Markgraf Joachim II. in die Stadt gerückt, sind sechs Bürgern die Köpfe abgeschlagen, die Rädelsführer mit Weib und Kind aus der Stadt gejagt, und die jährlichen Schmausereien der Tuchmacher, Pantaleons Collation genannt, am 28. Juli, bei welcher, als ihnen das Bier in die Köpfe gestiegen, der erste Funken entzündet worden, aufgehoben und der Stadt 30,000 Gulden Strafe auferlegt worden.

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Nach Rüdemann, Altmärkische Sammlungen S. 223, 296 etc. und S.L., Anweisung zu einer Chronik von Stendal. Halle 1747. in 8 Th. II. S. 3 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 131.
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