138. Der Roland zu Stendal.191

[132] Auf dem Markte zu Stendal vor dem Rathhause befindet sich wie in andern Städten der Altmark ein sogenannter Roland, der im Jahre 1837 neu wiederhergestellt worden ist. Er stellt wie gewöhnlich einen mächtig großen Ritter im kräftigen Mannesalter dar, hat aber eben so wenig wie alle andern (mit Ausnahme des Perleberger) einen Kinn- oder Vollbart, sondern nur einen Schnurrbart. In der linken Hand hält er ein mit einem Adler geschmücktes Wappenschild, was entweder das Brandenburgische oder Anhaltische ist, in der Rechten aber hat er ein gezogenes, 12 Ellen langes Schwert, was auf das Recht der Ausübung der hohen Gerichtsbarkeit für die Stadt hindeutet, wie man denn auch früher vor oder doch in der Nähe der Rolandssäulen an Missethätern das Todesurtheil zu vollziehen pflegte; zwischen seinen Beinen sieht man eine sich anstemmende Figur, die eine Geißel oder Strick in den Händen hält, was vermuthlich den Henker bezeichnen soll, und unter derselben sitzt auf einem Steinwürfel ein grinsender Affe mit einem Tambourin oder Spiegel in der Hand. Am Hintertheile des Roland endlich befindet sich der Eulenspiegel und unter demselben ein häßlicher Narr mit der Narrenkappe, welcher vermuthlich die einstige Anwesenheit des berühmten Spaßmachers in dieser Stadt verewigen soll. Die Jahreszahl 1525 auf der Bildsäule bezieht sich vermutlich auf die Errichtung der Säule in diesem Jahre, was sich schon aus der mit dem Worte renov(atus) 1698 bezeichneten zweiten Zahl ergiebt. Von diesem Roland erzählt uns die Volkssage, daß er sich zuweilen des Nachts auf seinem Fußgestell herumdrehe, oder gar von demselben herabsteige und auf den Straßen langsam herumwandle, allein in der Nähe hat dem steinernen Gaste noch Keiner Stand gehalten, und nur ein einziges Mal hat Einer und zwar ein halb betrunkener Stendaler Bürger versucht, sich an ihm zu reiben. Der ist eines Abends aus dem Wirthshause gekommen und der Uebermuth hat ihn geplagt, den steinernen Roland zu verhöhnen, ihm Gesichter zu schneiden und ihn zu bedauern, daß er nicht auch einmal ein Gläschen trinken dürfe. Der Roland hat sich den Unfug lange geduldig gefallen lassen, allein auf einmal hat er sich auf seinem Fußgestell umgedreht und dem Trunkenbold den Rücken zugekehrt. Darüber ist derselbe so erschrocken, daß er augenblicklich wieder nüchtern ward, und er hat laut um Hilfe gerufen mit den Worten: »He dheit mi wat! he dheit mi wat! (er thut mir was, er thut mir was!) Am andern Morgen hat aber der Roland wieder an seiner alten Stelle gestanden, als wenn gar nichts vorgefallen wäre, der Mann hat aber niemals wieder getrunken, und seit der Zeit ist in Stendal ein Sprichwort entstanden, womit man vor dem Uebermuth im Trinken warnt. Das lautet:


He dheit mi wat, he dheit mi wat!

Is doch, als hätt' ich das Drinken satt.«


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S. Weihe Bd. I. S. 19 etc. mit Abbildung als Titelkupfer. Temme, Die Volkssagen der Altmark, S. 4 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 132-133.
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