141. Das Kirchenmütterchen in der Marienkirche zu Stendal.195

[135] An der Südseite der Marienkirche befinden sich zwischen den Pfeilern der Mauer ziemlich geräumige Nischen, die man auch heute noch zu Logen für die vornehmern Kirchenbesucher benutzt und wo früher die zu Stendal anwesenden fürstlichen Personen und Rathsherren saßen. Außer diesen ist aber auch in einem der genannten Pfeiler selbst noch eine kleinere Nische, mit einer Thüre versehen, welche nach oben zu eine Oeffnung hat. Macht man die Thüre auf, so sieht man über dem Treppchen eine Art von steinernen Sessel. Auf diesem soll vor Alters Tag und Nacht eine früh zur Wittwe gewordene Person bis an ihren Tod gesessen haben, die der Prophetin Hanna gleichen wollte, von welcher es im Neuen Testamente heißt: »Sie kam nimmer vom Tempel«. An hohen Festen pflegten nun alle die Kirche Besuchenden zu ihr zu kommen und sie anzureden, sie aber dankte ihnen durch einen frommen Spruch. Das war das sogenannte Kirchenmütterchen.

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Nach Weihe, Bd. I. S. 42 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 135.
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