142. Der Katzensteig zu Stendal.196

[135] Am Tangermünder Thore dicht am St. Katharinenkloster befindet sich ziemlich dem Inquisitoriatsgebäude der Altmark gegenüber (die Hals- oder Hallstraße mit dem Schadewachten verbindend) ein schmaler unebener Steig, der heißt seit einigen Jahrhunderten der Katzensteig, während man ihn früher bis nach 1567 den Geiststeig nannte. Nach der noch jetzt gehenden Volkssage ist es auf diesem nicht geheuer, denn bald sieht man daselbst um Mitternacht einen Nonnenzug, die h. Katharina an der Spitze, hin- und herwandeln, bald hüpft auf demselben eine knöcherne Todtenhand umher, die Hand eines Mörders, der kurz vor seiner Hinrichtung auch noch zum Selbstmörder ward, bald kommt von der Seite des Doms her auf demselben eine Schaar Mönche, große Bücher in den Händen haltend, gezogen, bald erscheint auf demselben hoch zu Roß das Ritterpaar derer von Schadewachten, welche ihr Haus auf der nach ihnen benannten Schadewachtenstraße hatten, bald erblickt man auf den Hollunderbäumen bis vor dem Steige einen gespenstigen Kater, der nach einem auf dem Boden liegenden Gulden zu schielen scheint; will nun Jemand den Gulden aufheben und bückt sich nach demselben, so springt ihm der Kater auf den Rücken und fängt ihn an zu zwicken. Jener Kater soll einst ein reicher Verschwender gewesen sein, der all sein Besitzthum mit liederlichen Frauenzimmern verbracht hat. Dieselben sind auch in Katzen verwandelt worden, die in der Mitternachtsstunde auf den Fliederbäumen sitzen und während der Kater die vorübergehenden Männer beißt, die sich dorthin verirrenden Frauenzimmer überfallen und hacken. Selbst Priester und Aerzte vermeiden, wenn es angeht, noch heute diesen Weg in der Mitternachtsstunde aus Scheu vor den bösen Katzengespenstern.

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Nach Weihe, Bd. I. S. 47 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 135.
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