227. Matthias Lüßau, Geisterseher und Entdecker vergrabener Schätze.291

[202] Matthias Lüßau ist zur Zeit des 30jährigen Krieges Inspector und Prediger zu Rathenow an der Havel gewesen. Sein Bildniß hing lange[202] noch auf der Pfarre zu Jeggeleben, ohnweit Apenburg, in einer Schlafkammer. Auf diesem Bilde ist er dargestellt als ein handfester Mann mit einem Buch unter dem linken Arme, welches jedoch keine Bibel ist, wie es beim ersten Anblick scheinen könnte. Die Stadt Rathenow ist nämlich einst von den Schweden eingeschlossen worden und hat sich endlich genöthigt gesehen, mit den Feinden zu capituliren. Der Magistrat übertrug aber dieses Geschäft dem Inspector Lüßau, welcher die Sache auch zur Zufriedenheit seiner Obrigkeit sowohl als des schwedischen Generals so gut zu Stande gebracht hat, daß der Letztere ihm ein Buch in Gestalt einer Bibel zum Geschenk machte. Das Buch hat aber nur die äußere Form eines Buchs gehabt, und ist inwendig hohl und ganz mit Goldmünzen gefüllt gewesen, und das ist das Buch auf dem Bilde. Von diesem Manne nun werden folgende Gespenstergeschichten erzählt, die gänzlich der Wahrheit getreu hier wiedergegeben werden.

Bei einer Einquartirung durch die Schweden fand sich in der Stadt kein Raum mehr für eine Compagnie, die noch untergebracht werden mußte. Der Rath meldete, es sei nur noch ein einziges Hans übrig, welches aber der Gespenster wegen, von welchen es alle Nächte beunruhigt werde, unbewohnbar sei. Man lachte darüber, daß eine Compagnie braver Soldaten, die schon so vielen Schlachten beigewohnt, sich vor ohnmächtigen Gespenstern scheuen sollte. Sie wurde also in dies Haus einquartirt und man ließ einen guten Vorrath von Speisen und Getränken und eine Anzahl Spielleute herbeischaffen, um die Nacht lustig hinzubringen. Mitten in dieser Herrlichkeit, vermuthlich in der Gespenstern gewöhnlichen Spukstunde, tritt ein Mann in der Gestalt eines Pächters, mit einem Bündel Acten unter dem Arm und mit einer Peitsche in der Hand, ins Zimmer und hinter ihm drein eine Frau mit einem großen Gebund Schlüssel. Beide stellen sich neben die Stubenthüre, um genau zu sehen, was da vorgeht. Die tanzende Gesellschaft macht eine Pause und sieht sich nach ihren ungebetenen Gästen um. Nach einer kleinen Weile wird das Stillschweigen durch ein von den Soldaten aufgeschlagenes Gelächter unterbrochen. Der Mann mit der Peitsche und die Frau mit den Schlüsseln bewaffnet fallen über die erschrockenen Helden her und treiben sie dergestalt in die Enge, daß der größte Theil von ihnen den Weg aus dem Hause durch das Fenster suchen mußte. Die wenigen Zurückgebliebenen jagt das weibliche Gespenst vollends zur Thüre hinaus. Hinter dem Ofen liegt ein Marodeur, welcher aus Müdigkeit keinen Theil an der Trink- und Tanzlust genommen, sondern sich dem Schlafe überlassen hatte. Dieser erwachte endlich von dem Lärmen und will gleichfalls durch die Thür entfliehen. Das Weib aber bemühet sich, ihn davon abzuhalten und sagt: liege Du nur stille! Dir wollen wir nichts thun, Du hast uns nicht ausgelacht. Er hält es aber doch nicht für rathsam, in einer so sonderbaren Gesellschaft länger zu verharren, und die beiden Gespenster bleiben also Meister von der Wahlstatt. Nachdem sich endlich diese wieder abgetrollt, kehren auch die Kriegsleute schüchtern zu ihrem gestörten Tanze von Neuem ins Haus zurück. In dieses fürchterliche Haus wagte sich nun einige Zeit darauf, nach gesuchter und erlangter Billigung des Magistrats, der schon erwähnte Lüßau, um ein nächtliches Verhör anzustellen und näher auf den Grund der Sache zu kommen. Ein Buch zum Lesen und das nöthige Schreibgeräthe nimmt er mit sich. Zwei Lichter brennen vor ihm auf einem Tische,[203] und Jemand, vielleicht sein Küster, der nicht so herzhaft war als sein Pastor, mußte auf der Straße um das Haus herum aufpassen, um im Fall der Noth bei der Hand zu sein. Gegen Mitternacht öffnet sich die Thüre des Zimmers und der Mann mit seinen Acten und mit seiner Peitsche tritt herein ohne allen Spott und stellt sich ganz bescheiden und ehrerbietig an seinen Ort. Inzwischen verlischt aber doch in demselben Augenblick das eine von den auf dem Tische brennenden Lichtern, welches aber der immer ruhige Lüßau hurtig bei dem andern wieder anzündet. Gleich darauf erscheint auch die Frau und das zweite Licht verlischt. Alsofort zündet der kühne und vorsichtige Mann solches bei dem ersten wieder an und nun sieht er sich erst nach den beiden Erscheinungen um. Auf die an sie gethane Anrede: »Alle gute Geister loben Gott den Herrn!« neigen sie sich höflich. Nun fährt er fort: so kommt näher heran und sagt, was Euer Begehren sei und was Ihr hier zu suchen habt. Hierauf läßt sich der Mann mit einer umständlichen Erzählung heraus, des Inhalts: er sei ehedem der Besitzer dieses Hauses gewesen und habe gewisse Güter (welche er insgesammt namentlich aufführt) in Pachtverwaltung gehabt, davon sei aber dieses und jenes veruntreut worden und in unrechte Hände gerathen, wenn also dieses wieder in Ordnung gebracht würde, werde er Ruhe bekommen. Eben so pünktlich und offenherzig berichtet auf Verlangen die Frau, wie sie theils ihr Gesinde, theils andere Leute, theils in dem, theils in jenem Stück übervortheilt habe, würde auch dieses berichtigt und Jedem das Seine ersetzt werden, so würde sie und in Folge dessen auch das Haus künftighin Ruhe genießen. Herr Matthias schreibt dies Alles nieder und macht sich anheischig, dafür zu sorgen, daß Alles möglichst in Ordnung gebracht werden solle. Hierauf fragt er die Geister, ob sie sonst noch etwas vorzubringen hätten? und auf erfolgtes Nein! ertheilt er ihnen den Abschied mit den Worten: »Nun so gehet hin in Frieden in Euere Gruft, bis Euch Christus zum allgemeinen Gericht wieder ruft.« Sie neigen sich und gehen ab. Des Tags darauf bringt Lüßau sein Protokoll aufs Rathhaus, man sieht in dem Archive nach, man findet Spuren der Wahrheit von dem, was die Geister ausgesagt hatten, und bringt, so gut es die Umstände erlauben, Alles wieder zu Rechte. Das nunmehro von Gespenstern befreite Haus wird seinem Befreier als Eigenthum geschenkt, und hat geraume Zeit das Lüßau'sche Haus geheißen, bis es endlich verkauft worden ist und einen andern Namen bekommen hat.

Eines Abends in der Dämmerung steht derselbe Lüßau am Fenster seines Hauses und wird gewahr, daß gegenüber zwei Menschengestalten an einer gewissen Stelle, die er sich gar eigentlich bemerkte, emsig graben und sorgfältig etwas aufsuchen. Das eine von diesen Gespenstern hat aber die Gestalt und das Ansehen seines noch lebenden Kirchenvorstehers, den er folglich sehr gut kennt. Er ruft sie also in der Meinung, daß es lebendige Menschen wären, beide zu sich heran und fragt sie, was sie denn da suchten? Der eine antwortet: In der Schwedenzeit hätten sie aus Furcht, geplündert zu werden, die kostbarsten Kirchengefäße zu mehrerer Sicherheit in der Gegend da herum vergraben und hätten hernach die eigentliche Stelle nicht wieder entdecken können, daß also die Gefäße noch daselbst versteckt liegen müßten. Sogleich den folgenden Morgen läßt Herr Lüßau den annoch lebenden alten Kirchenvorsteher zu sich fordern und befragt ihn, ob er sich nicht zu erinnern[204] wisse, daß in vorigen Kriegszeiten einiges Kirchengeräthe abhanden gekommen? Wie ein Mensch, der aus einem Traume erwacht, besinnt sich endlich dieser Mann und antwortet: »Ja, Herr Inspector, ich und mein seliger damaliger Mitvorsteher haben die und die Gefäße irgendwo vergraben. Wir haben solche zwar hernach einige Male aufzusuchen uns bemüht, aber die rechte Stelle und folglich auch die Sachen selbst nicht wieder finden können, und da hernach jener darüber weggestorben ist, so habe ich es ganz vergessen gehabt und Alles für verloren gehalten.« Lüßau führt ihn darauf hin zu der, von ihm den Abend vorher genau bemerkten Stelle und frägt, ob es wohl um diese Gegend gewesen sein möchte? Und nachdem jener solches bejahet, so wird Anstalt zum Aufgraben gemacht. Die Gefäße werden glücklich gefunden und der Kirche wieder zugestellt. – Endlich ist doch der beherzte Lüßau ein Märtyrer seiner Kühnheit geworden. Er bekam Nachricht von einem Todtengewölbe, worin die vermeinten Gespenster entsetzlich lärmen und toben sollten. Er hatte Muth genug, mitten in der Nacht sich an diesen bedenklichen Ort zu wagen, entweder um seine Neugierde zu befriedigen, oder um den Geistern ihre fürchterliche Kurzweil zu stören. Er begab sich in das Gewölbe hinunter, wurde aber erschrecklich angebrüllt und ernstlich bedeutet: er habe hier nichts zu schaffen, in dieser unterirdischen Wohnung hätten sie, die Geister, blos Recht und Macht, ihr Wesen zu treiben; wofern er sich nicht schleunig fortpacken werde, solle es ihm übel ergehen. Der beschämte Held geht hierauf zurück, wird vor Schreck krank und muß an dieser Krankheit seinen Geist aufgeben.

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Nach Reichard a.a.O. Bd. I. S. 23 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 202-205.
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