268. Von der Abgöttin Venere Mirthia, wie sie ehemals zu Magdeburg gestanden.333

[226] Die Abgöttin Venus, wie sie etwa zu Magdeburg gestanden und von den Einwohnern des Landesortes ist angebetet worden, wird sie also beschrieben. Auf einem güldenen Wagen stand ein schön nackend Weibsbild mit klaren lieblichen Augen und schönen langen aufgeflochtenen Haaren, so ihr bis auf die Kniee gingen; auf dem Haupte hatte sie einen Kranz von Myrthen und rothen Rosen und in ihrem lachenden Munde eine geschlossene Rose, auf der Brust eine brennende Fackel und einen Pfeil oder Strahl aus dem Herzen gehend, in der linken Hand trug sie die Kugel der Welt, in der Himmel, Meer und Erdreich abgetheilt, in der rechten Hand aber drei güldne Aepfel; hinter ihr standen die drei Chariten oder Göttinnen der Holdseligkeit, Freundlichkeit und Dankbarkeit, gleicher Gestalt nackend wie die Venus und mit den Armen in einander geschrenkt, welche einander mit abgewandten Angesichtern einen güldenen Apfel zur Verehrung darboten. Den güldenen Wagen, darauf die Venus mit diesen ihren Jungfrauen oder Mägden stand, zogen zwei weiße Schwäne und zwei weiße Tauben.

Nach den Annales Magdeburgenses hat diese Abgöttin allhier zu Magdeburg in dem alten Römischen Schlosse, so das Burggrafenschloß hernach geheißen, an der Elbe, dahin nachmals St. Marien-Magdalenenkloster gebauet worden, auf dem alten runden ziegelsteinenen Thurm, den man sonst auch den Hünenthurm heißt und der noch zu Ende des 16. Jahrhunderts stand und für den alten Schloß- oder Burgthurm, der allda von Drusus erbauet worden war, gestanden. Andere aber schreiben, daß diese Abgöttin Venus etwas weiter von der Burg nach der Elbe wärts in einem besondern Tempel gestanden, welcher auch hernach, obgleich der Flecken und die Burg Magdeburg von den Hünen und Wenden zerstört worden war, dennoch um der Abgöttin Venus willen stehen geblieben ist, denn auch die Heiden haben die Tempel um ihrer Götter willen in den Kriegen verschont und unbeschädigt gelassen. Demnach soll auch der Tempel der Venus allhier übrig geblieben und die Venus darinnen bis zur Zeit Caroli Magni geehrt worden sein, welcher diesen Tempel sammt der Venus zerstört und das Gold und den Schatz zur Erbauung der St. Stephanskirche, die er dahin gelegt, wiederum angewendet hat.

333

Nach Joh. Pomarius, Summarischer Begriff der Magdeburgischen Stadt-Chroniken. Magdeburg 1587 in 4°. I.F. (mit Abbild.)

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 226.
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