308. Die Elbjungfer bei Magdeburg.377

[255] Vor einem halben Tausend Jahren erschien zu Magdeburg an den Markttagen immer ein Mädchen, so wunderhold und lieblich, daß Jeder gleich sah, sie sei nicht im Lande geboren, denn ihres Gleichen gab es nicht auf zehn Meilen in der Runde, und es wußte auch Niemand weder ihren Namen noch Stand, noch ihr Geschlecht anzugeben. Sie war von hohem Wuchse, größer als die andern Frauen alle, aber doch auch wieder nicht zu groß. Ihre Haare waren von goldgelber Farbe und seidenweich, reichten aber, wenn sie sie aufgebunden trug, hinab bis zu den Knöcheln. Ihre Augen aber leuchteten so hell wie ein köstlicher Diamant. Sie trug gewöhnlich ein blausammtnes Kleid, ganz von der Farbe der blauen Elbfluth, und über die Hüften war um das reiche Gewand eine goldene Nestelschnure geschürzt, welche die Fülle der prächtigen Falten zusammenhielt. Ihr Busen aber war von einem schilfgrünen Mieder umschlossen, auf allen Nähten mit Perlen besetzt, vorn aber auf der Brust mit einem Demantstein, der so klar[255] und durchsichtig war, daß ihn Viele nicht für einen Edelstein, sondern blos für einen Wassertropfen hielten, in welchem sich der Glanz der Sonne wiederspiegelte. Dergleichen Diamanten oder richtiger gesagt perlende Wassertropfen schmückten auch den Saum ihres Kleides, welches übrigens immer drei Zoll breit unten naß erschien. Dieses Mädchen kam nun aber stets allein auf den Markt mit einem Körbchen am Arm, kaufte Obst, Brot und Fleisch und ging dann wieder zum Stadtthor hinaus, ohne daß man wußte, woher sie kam noch wohin sie ging. Es konnte nun nicht fehlen, daß die jungen Bursche der Stadt Magdeburg, Vornehm und Gering, gar großen Antheil an dieser holden Erscheinung nahmen, allein keinem gelang es, von ihr etwas heraus zu bringen. Endlich wagte es doch einer von ihnen, als sie abermals mit gefülltem Korbe vom Markte wegging, ihr durch das Stadtthor zu folgen und sie anzureden. Sie hielt ihm auch Stand, allein auf seine Frage, wer sie sei und ob er sie begleiten könne, gab sie ihm eine verneinende Antwort, bat ihn auch, er möge nicht mehr in sie dringen und sie ihres Weges ziehen lassen. Da sich der Jüngling aber nicht abweisen ließ und ihr viel von seiner heißen Liebe vorredete, so sagte sie, sie sei eine Nixe und wohne tief unten auf dem Grunde des Elbstromes bei ihrem Vater und ihrem Bruder, für die sie auf dem Markte einkaufen müsse. Dadurch ließ sich aber der Jüngling nicht abhalten noch mehr in sie zu dringen und sie zu bitten, ihm ihre Liebe zu schenken, versprach ihr auch, wenn sie ihn zu ihrem Gatten annehmen wolle, wolle er hinabsteigen von der schönen Erde zu ihr unter die Wellen und dort bei ihr bleiben. Das hat die Jungfrau dermaßen gerührt, daß sie ihm versprach, sie wolle ihre Eltern fragen, ob sie ihn mitnehmen dürfe. Er solle wohl Acht geben, wenn sie ins Wasser gesprungen sein werde. Wenn nämlich ein Teller mit einem Apfel aus dem Wasser herauskommen werde, dann sei es gut, dann könne er ihr getrost nachspringen, sie werde ihn in ihren Armen auffangen und zu ihren Eltern und Brüdern führen; färbten sich aber die Wellen roth, so sei es um sie geschehen und sie müsse dann mit ihrem Leben das ihm jetzt gegebene Versprechen büßen, denn ihre strengen Brüder hätten sie dann umgebracht. Sie blickte ihn noch einmal zärtlich an und tauchte in die Fluth, allein nach wenigen Augenblicken wallte es aus dem Wasser auf wie Blut, da wußte der Jüngling, daß die Jungfrau von ihren Brüdern umgebracht worden war und ging tief betrübt nach der Stadt zurück.

Man erzählt sich noch heute in Magdeburg viel von einer bösen Nixe in der Elbe, welche die hinüberschwimmenden Leute hinunterzieht und ersäuft. Dieselbe läßt sich bisweilen bei hellem Tage sehen, wie sie am Ufer oder auf einem nahen Baume sitzend sich sonnet und die langen goldgelben Haare strählt. Man hat sie schon mehrmals fangen wollen, aber sobald ihr Jemand zu nahe kommt, schlüpft sie hurtig in das Wasser.

Ueberhaupt sind die Wassergeister bei Magdeburg sehr mächtig. Einst wollte die Magdeburger Bürgerschaft eine Wasserleitung aus der Elbe in die Stadt bauen und ließ Pfähle in den Fluß einrammen. Da tauchten nackte Männer empor und rissen alle Pfähle wieder aus und trieben es so arg, daß der ganze Bau wieder aufgegeben werden mußte.

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Nach Oldenbach a.a.O. S. 244 etc. und Ziehnert Bd. II. S. 35 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 255-256.
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