312. Wittekind's Taufe.381

[258] Als Carolus Magnus an der Ohre bei Wolmirstett im Stifte Magdeburg gelegen ist (nach Andern wäre dies an der Ocker geschehen), hat sich König Wittekind als ein Bettler angekleidet in ein Schifflein gesetzt, ist die Ohre hinuntergefahren und am stillen Freitage in Caroli Lager als ein Bettler gekommen zu erspähen, wie es in dem Lager desselben stehe, was er für Kriegsleute und für Rüstung hätte und wie stark er wäre. Daselbst hat sich Wittekind unter die Bettler gesetzt und unter ihnen die Almosen erwartet, wie denn Carolus seiner Gewohnheit nach, wenn er aus der Kirche gegangen, solches selbst den Armen mitleidig gereicht und gegeben hat. Nachdem nun daselbst am heiligen Ostertage Carolus und Andere mit ihm zum hochwürdigen Sacrament gegangen und Wittekind in Gestalt eines Bettlers hinzugedrungen und solches, auch wie Carolus eigentlich in der Gestalt wäre, gesehen, hat er sich geschwind wieder zu den Bettlern gesetzt und die Almosen erwartet. Wie nun der Kaiser aus der Kirche gegangen und seiner Gewohnheit nach den Armen Almosen gereicht und Wittekind seine Hand hingehalten hat, um das Almosen zu nehmen, ist er an dem krummen Finger seiner rechten Hand erkannt, auch alsobald ergriffen und als Gefangener Carolus nachgeführt worden. Carolus aber hat ihn ernstlich angeredet und gefragt, warum und aus was für Ursachen er als ein Bettler in sein Lager gekommen wäre. Wittekind aber antwortete: »Darum, daß ich Dich in Deinem Lager erkunden und dasselbe besehen wollte.« Carolus fragte aber weiter: »Lieber, was hast Du denn gesehen?« Wittekind antwortete: »Vorgestern sah ich Dich betrübt und traurig zur Kirche gehen. Heute aber habe ich Dich fröhlich und mit köstlichen Kleidern angethan gesehen, und in der Mitte stand einer im Purpurkleide vor einem Tische, der hub ein kleines und säuberliches Kindlein auf und steckte es Dir in den Mund und also auch den Andern. Etlichen aber stieg es mit Freuden in den Mund, Andern aber mit Trauern.« Darauf antwortete Carolus und sprach: »Wahrlich, Du hast mehr gesehen als ich und alle meine Priester.« Und er erklärte ihm alle Dinge und lehrte ihn den christlichen Glauben, daß sich König Wittekind mit seiner Gemahlin und vielem Volke taufen ließ und sind Christen geworden und nimmermehr wieder vom Glauben abgefallen.

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Nach Pröhle, Deutsche Sagen S. 66. Anders bei Grimm, Deutsche Sagen Bd. II. S. 448.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 258-259.
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