330. Die Sage von der Dummburg.399

[288] Zwischen den Klöstern Hadersleben und Adersleben an der östlichen Spitze des Hakels, einem Gehölz im Fürstenthum Halberstadt, zwischen Kochstedt und Grüningen, das einst mit dem Harz zusammenhing, liegen die Trümmer der sogenannten Dummburg, deren feste Mauern bis jetzt immer noch dem Zahn der Zeit getrotzt haben. An derselben geht aber womöglich des Nachts kein Wanderer vorüber, denn wenn die Sonne untergegangen ist und er den Boden der Burg betritt, so hört er in der Tiefe dumpfes Aechzen und Kettengeklirr, um Mitternacht aber steigen in feierlichem Zuge zwölf lange weiße Gestalten aus den Felsentrümmern hervor, diese tragen einen großen offenen Sarg, den sie auf der Höhe hinsetzen und dann verschwinden. Auch bewegen sich oft die Schädel, die hier und da unter den Klippen herumliegen.

Lange Zeit hauseten in der Dummburg Räuber, welche die vorbeiziehenden Reisenden und Kaufleute, die sie auf der Landstraße von Leipzig nach Braunschweig erspähten, erschlugen und dann ihren Raub in den unterirdischen Höhlen unter der Burg verwahrten. Tiefe Brunnen waren mit den Leichnamen der Erschlagenen angefüllt und andere Unglückliche ließen sie in dem schrecklichen Burgverließ eines schmählichen Hungertodes sterben. Lange[288] blieben die Schlupfwinkel der Räuber unentdeckt, allein endlich traf sie die Rache der umwohnenden, verbündeten Fürsten. Die geraubten Schätze liegen noch jetzt aufgethürmt in den verschütteten Kellern und Gewölben der Dummburg. Doch nur selten ist es einem Wanderer vergönnt, die hineinführenden Pforten zu finden, wenn er auch hier und da verfallene Eingänge entdeckt. Geister in Mönchsgestalt oder auch leibhafte Mönche steigen hier öfter hinab.

Einst sah ein armer Holzhauer, der hinter den Felsentrümmern eine Buche fällen wollte, einen Mönch langsam durch den Forst daherkommen und verbarg sich hinter dem Baum. Der Mönch ging vorbei und in die Klippen hinein. Der Holzhauer schlich ihm aber nach und sah, daß der Mönch an einer kleinen Pforte stehen blieb, die noch keiner der Dorfbewohner entdeckt hatte. Der Mönch klopfte leise an und rief: »Thürlein, öffne dich!« und die Pforte sprang auf. Dann hörte er rufen: »Thürlein, schließe dich!« und es schloß sich die Pforte. Am ganzen Leibe zitternd bezeichnete der Holzhauer den gekrümmten Gang mit Zweigen und über einander gelegten Steinen. Seit der Zeit konnte er aber nicht schlafen und nicht essen, so ängstigte ihn die Neugierde zu wissen, was in dem Keller sei, zu dem die wunderbare Pforte führte. Den nächsten Sonnabend fastete er und mit Sonnenuntergang ging er am Sonntag mit dem Rosenkranz in der Hand hin zu den bezeichneten Klippen. Jetzt stand er vor der Pforte und klapperte mit den Zähnen vor Furcht, denn immer dachte er einen Geist in Mönchsgestalt kommen zu sehen. Aber es erschien keiner; zitternd schlich er nun zur Pforte heran, lauschte lange und hörte nichts. Endlich betete er in der Angst seines Herzens zu allen Heiligen und der Jungfrau und klopfte dann schnell, halb ohne Besinnung an die Pforte. »Thürlein, öffne dich!« sprach er mit schwacher bebender Stimme. Die Pforte sprang auf und er sah vor sich einen schmalen dämmernden Gang. Er wankte hinein und der Gang verlor sich bald in ein geräumiges ziemlich helles Gewölbe. »Thürlein, schließe dich!« sagte er, ohne es zu wollen. Da schloß sich hinter ihm die Pforte.

Nun ging er zitternd vorwärts und fand große offene Fässer und Säcke, angefüllt mit alten Thalern und harten Gulden und schweren Goldstücken. Auch standen da mehrere Schmuckkästchen voll Juwelen und Perlen, kostbare Monstranzen und geschmückte Heiligenbilder lagen und standen auf silbernen Tischen in den Ecken der Höhle. Der Holzhauer bekreuzte sich und segnete sich, wünschte sich tausend Meilen von dem bezauberten Ort und konnte doch der Begierde nicht widerstehen, etwas zu nehmen von den ungebrauchten Schätzen, um seine Frau und seine acht Kinder zu kleiden, die lange schon in Lumpen gingen.

Zitternd und mit zugedrückten Augen streckte er seine Hand aus nach einem Sack, der zunächst neben ihm stand, und nahm einige Gulden heraus. Er faßte schnell nach seinem Kopfe und fand ihn noch fest an seiner Stelle sitzen. Schon weniger zitternd und durch die Augenwimpern blinzelnd nahm er einige Thaler, auch einige Hände voll von den glänzenden Blechmünzen und wankte, sich bekreuzend, wieder der Thüre zu.

»Komm wieder!« rief ihm eine dumpfe Stimme aus der Tiefe der Höhle zu. Kaum vermochte er, da sich rings um ihn Alles im Kreise drehte, das »Thürlein, öffne dich!« zu stammeln. Da sprang die Pforte auf. Fröhlicher und lauter rief er: »Thürlein, schließe dich!« und es schloß sich die Thüre. Er[289] eilte nach Hause so schnell ihn seine Füße tragen wollten, sagte aber nichts von den gefundenen Schätzen, ging dann in die Klosterkirche und opferte zwei Zehntheile von Allem, was er in der Höhle genommen hatte, für die Kirche und die Armen. Den folgenden Tag ging er zur Stadt und kaufte seiner Frau und seinen Kindern einige Kleidungsstücke, deren sie so sehr bedurften. Er habe, sagte er, einen verwitterten alten Thaler und ein paar Gulden unter den Wurzeln der Buche gefunden, die er fällte.

Jetzt war er in seinen Augen ein reicher Mann. Aber was sollte er mit seinem Reichthum machen? Er gab der Kirche und den Armen zwei Zehntheile von Allem, was er hatte; das andere wollte er in seinem Keller vergraben, um von Zeit zu Zeit nach dem Bedürfniß seines Hauses etwas zu holen. Doch konnte er der Begierde nicht widerstehen, sein Geld vorher zu messen, denn Geld zu zählen hatte er nimmer gelernt. Er ging zu seinem Nachbar, einem reichen Mann, der aber bei seinem Reichthum hungerte, mit Korn wucherte, den Armen den Lohn entzog, Wittwen und Waisen das Ihrige abdrang, auf Pfänder lieh und keine Kinder hatte. Von diesem borgte er eine Metze, maß sein Geld, vergrub es und trug die Metze zurück. Aber die Metze hatte große Spalten, durch welche der Kornwucherer beim Verkauf an arme Handarbeiter durch Schütteln und Schlagen immer einige Körner wieder auf seinen Haufen zurückfallen ließ. In einer dieser Spalten waren einige kleine Blechmünzen zurückgeblieben, die der Holzhauer beim Ausschütten des Geldes nicht bemerkte. Doch den Falkenaugen des reichen Nachbars entgingen sie nicht. Er suchte den Holzhauer im Walde auf und fragte ihn, was er mit der Metze gemessen habe. »Holzsamen, Hamsterkorn und dergleichen«, antwortete dieser stotternd. Aber mit Kopfschütteln zeigte ihm der Wucherer die Blechmünzen, drohte ihm mit den Gerichten und der Folter und dann versprach er ihm wieder Alles, was er sich nur wünschen konnte. Und so preßte er ihm nach und nach das geahnete Geheimniß ab und lernte von ihm die furchtbaren Worte.

Die ganze Woche hindurch machte nun der Wucherer Entwürfe, wie er mit einem Male alle Schätze aus der Höhle herausschaffen könne, also auch die, welche in Nebenhöhlen etwa noch verborgen oder unter der Erde vergraben sein dürften. Er baute sich bereits große Luftschlösser, was er mit allem dem Gelde machen, wie er das ganze Dorf kaufen und sich nach und nach auch in Besitz der umliegenden Gegend bringen wolle, dann lasse er sich vom Kaiser adeln und werde ein Ritter. Dem Holzhauer gefiel es nicht, daß sein böser Nachbar zur Burg gehen wolle. Er bat ihn, von seinem Vorhaben abzustehen, stellte ihm die Gefahr vor, erzählte ihm auch hundert Beispiele von unglücklich gewordenen Schatzgräbern. Aber wer hält einen Geizigen von einem offenen Sack voll Goldstücken zurück?

Durch Drohungen und Bitten wurde der Holzhauer endlich beredet, einmal nur noch mit zur Pforte zu gehen. Er sollte die Säcke, welche der Wucherer selbst alle herausschleppen wollte, nur in Empfang nehmen und im Gebüsch verstecken. Dafür sollte er die Hälfte bekommen von Allem, was sie fänden, und die Kirche den Zehnten; auch sollten alle Armen des Dorfes neu gekleidet werden. So sprach der Geizige. In seinem Herzen aber hatte er beschlossen, den Holzhauer, wenn er seiner Hilfe nicht mehr bedürfte, in den tiefen Brunnen auf der Burg hinunterzustürzen, den Armen[290] nichts, der Kirche aber nur einige Blechmünzen zu geben, wozu er im Geiste schon die leichtesten aussuchte.

Den nächsten Sonntag ging der Geizige noch vor Aufgang der Sonne mit dem Holzhauer in die Klippen der Dummburg. Auf seiner Schulter trug er einen großen Dreischeffelsack, in dem zwanzig andere etwas kleinere steckten, und einen Spaten und eine große Hacke. Der Holzhauer warnte ihn noch einmal ernstlich vor der Habsucht, aber vergebens, empfahl ihm das Gebet zu den Heiligen, aber umsonst. In sich fluchend und zähneknirschend ging der Geizhals vor sich hin. Nun kamen sie zu der Pforte; der Holzhauer, dem nicht wohl war bei der Sache, den aber die Furcht vor der Folter zurückhielt, blieb in einiger Entfernung stehen, um die Säcke in Empfang zu nehmen.

»Thürlein, öffne dich!« rief hastig und vor Gier zitternd der Kornwucherer. Da öffnete sich die Pforte und er ging hinein. »Thürlein, schließe dich!« Die Pforte schloß sich hinter ihm. Kaum war er in dem Gewölbe und sah alle die Fässer und Säcke und Kasten voll Gold und edlen Steinen und Perlen und blinkendem Golde, so verschlang er Alles mit den Augen und riß mit bebender Hand die zwanzig Säcke aus dem großen Sack heraus und wollte hastig sie füllen. Da kam aus der Tiefe der Höhle langsamen Schrittes ein großer schwarzer Hund mit feurigen funkelnden Augen und legte sich abwechselnd auf jeden gefüllten Sack und auf all' das Geld.

»Fort mit Dir, Du Geizhals!« so grinste der schwarze Hund ihn an. Bebend fiel er zur Erde und kroch auf Händen und Füßen der Thüre zu. Aber in der Angst seines Herzens vergaß er das »Thürlein, öffne dich!«, rief einmal über das andere: »Thürlein, schließe dich!« und die Pforte blieb verschlossen.

Lange harrte sein der Holzhauer mit pochendem Herzen. Endlich nahete er sich der Thüre. Da schien's ihm, als hörte er Aechzen und Winseln und ein dumpfes Hundegeheul – und dann war es plötzlich wieder still.

Jetzt hörte er das Läuten zur Messe in dem Kloster. Er betete seinen Rosenkranz, dann pochte er leise an die Pforte. »Thürlein, öffne dich!« Es öffnete sich die Pforte, aber – o Jammer! da lag der blutende Körper des bösen Nachbars hingestreckt auf seinen Säcken und die Fässer und Kasten voll Gold und Silber und Diamanten und Perlen sanken vor seinen Augen immer tiefer und tiefer in die Erde.

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Nach Otmar, Volkssagen. Bremen 1800 in 8. S. 225 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 288-291.
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