333. Hackelberg und die Tut-Osel.402

[293] Weit umher zieht in den Gebirgen des Harzes und im Thüringer Walde der wilde Jäger Hackelberg; doch am Liebsten weilt er im Hakel, von dem er auch den Namen haben soll, und besonders in der Gegend der Dummburg. Oft hört man ihn um Mitternacht, wie er in Sturm und Regen oder im Mondschein bei bewölktem Himmel mit seinen Hunden die Schatten des einst getödteten Wildes in den Wolken verfolgt. Gewöhnlich geht sein Weg von der Dummburg aus quer über den Hakel nach der jetzt wüsten Dorfstätte von Ammendorf, in der Feldmark des jetzt Magdeburgischen Dorfes Hakeborn, unweit des Städtchens Egeln. Doch sehen können ihn nur wenige Sonntagskinder. Zuweilen begegnet er ihnen als ein einsamer Jäger mit einem Hunde; zuweilen sehen sie ihn in einem Wagen, von vier Pferden gezogen und von sechs Jagdhunden begleitet. Aber Alle hören sein furchtbares Daherrauschen durch die Lüfte, hören das dumpfe Hundegebell und das Klatschen seiner Pferde, wie wenn selbige im Sumpfe oder Koth wateten, hören seinen Waldruf: Hu, hu! und sehen seine Begleiterin und Waldhornistin, die Tut-Osel.

Einst saßen drei Wanderer in der Nähe der Dummburg. Schon war es tief in der Nacht. Der Mond blickte hier und da durch die sich jagenden[293] Wolken. Rings umher war Alles still. Plötzlich rauschte es über ihren Köpfen, sie sahen auf und vor ihnen flog eine große Ohreule. »He«, rief der eine Wanderer, »das ist die Tut-Osel! Nun ist Hackelberg nicht weit, der wilde Jäger.« »Laßt uns fliehen«, sprach ängstlich der zweite, »ehe uns das Ungethüm ereilt.« »Entfliehen können wir nicht«, sagte der dritte, »auch habt Ihr nichts zu befürchten, wenn Ihr ihn nicht reizt. Legt Euch nur still nieder auf den Bauch, wenn er über uns wegfährt. Anreden aber müßt Ihr ja Hackelberg nicht, sonst geht es Euch wie jenem Schäfer.«

Und die Wanderer legten sich unter das Gebüsch; bald hörten sie um sich ein Rauschen, wie von einer Meute Hunde, die durch das Gesträuch sich drängen, hörten hoch über sich in den Lüften ein dumpfes Getön, wie von verfolgtem Wild und von Zeit zu Zeit hörten sie schaudernd des wilden Jägers furchtbar tönendes »Hu! Hu!« Zwei der Wanderer drückten sich fest auf die Erde, aber der dritte konnte der Neugier nicht widerstehen, er schielte seitwärts durch die Zweige in die Höhe und sah den Schatten eines Jägers, der schnell mit seinen Hunden vorüber eilte.

Jetzt war es plötzlich rings umher still; die Wanderer erhoben sich langsam und schüchtern und wollten Hackelberg nachsehen. Aber er war verschwunden und kam nicht wieder.

»Wer ist denn die Tut-Osel?« fragte nach langer Pause der zweite Wanderer. »In einem fernen Kloster in Thüringen«, antwortete der erste, »lebte einst eine Nonne, Ursel benannt. Diese plagte schon im Leben mit ihrer heulenden Stimme blos ihre Mitschwestern und störte oft den Chorgesang. Drum nannte man sie Tut-Ursel. Aber viel schlimmer wurde es nach ihrem Tode. Denn von eilf Uhr Abends an steckte sie den Kopf durch ein Loch des Thurmes in das Chor der Kirche und tutete kläglich und alle Morgen um vier Uhr stimmte sie ungerufen in den Chorgesang ein. Einige Tage ertrugen dies die Schwestern mit klopfendem Herzen und bebenden Knieen, aber als sie den vierten Morgen mit einstimmte und eine der Nonnen mit leise zitternder Stimme zu ihrer Nachbarin sagte: ›He, das ist gewiß die Ursel!‹ da schwieg plötzlich der Gesang, die Haare sträubten sich auf und alle Nonnen stürzten aus der Kirche, halblaut schreiend: ›He, Tut-Ursel! Tut-Ursel!‹ Und keine der angedrohten Bußen und Strafen vermochte eine der Nonnen die Kirche wieder zu betreten, bis die Ursel aus den Klostermauern verbannt war. Man holte also den berühmtesten Teufelsbanner seiner Zeit aus einem Kapuzinerkloster an der Donau und dieser bannte durch Fasten und Gebet die Ursel in der Gestalt der Ohreule nach der fernen Dummburg. Hier traf sie Hackelberg, den wilden Jäger und fand an seinem Waidruf: ›Hu! Hu!‹ ein so großes Behagen, als er an ihrem ›U! Hu!‹ Und so ziehen sie nun auf immer vereint auf die Luftjagd aus, er froh, ein Wesen gefunden zu haben seiner Art, sie hocherfreut, nicht mehr eingeschlossen zu sein in den Klostermauern und den Wiederhall zu hören ihres Gesanges.«

»Da haben wir nun die Tut-Osel! Aber wie ging es denn jenem Schäfer, der Hackelberg anredete?«

»Hört die wunderbare Geschichte«, sprach der dritte Wanderer. »Ein Schäfer hörte einst den wilden Jäger über seine Hürde wegziehen, hetzte seine Hunde an und rief ihm nach: ›Glück auf, Hackelberg!‹ Hackelberg kehrte schnell um und rief ihm mit dumpfer Donnerstimme zu: ›Hast Du[294] mir hetzen geholfen, so sollst Du auch Theil haben an dem Fang!‹ Der Schäfer verkroch sich zitternd, aber Hackelberg warf ihm eine halbverwitterte Pferdelende in seinen Schäferkarren, daß er kaum sich regen konnte, weder vor- noch rückwärts.«

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Nach Otmar S. 241 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 293-295.
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