387. Die Entstehung der heil. Brunnenskapelle zu Erfurt.475

[336] Im Jahre 1249 hat sich zu Erfurt folgende merkwürdige Begebenheit zugetragen. Es find zwei leichtfertige Vögel mit einander einig geworden, nächtlicher Weile in die Kirche St. Martini intra (die vor diesem an dem langen Stege, der Prediger-Kirche gegenüber stand, nach dem 1736 erfolgten Brande aber gänzlich abgebrochen ward) einzubrechen und haben dieses Vorhaben auch am Abend vor Mariä Verkündigung ins Werk gesetzt. Sie erbrachen den Tabernakel und nahmen daraus das Ciborium, worin 9 consecrirte Hostien lagen, und gingen damit fort. Wie sie auf den Roßmarkt kamen, schütteten sie die consecrirten Hostien in eine Pfütze, das Ciborium aber nahmen sie mit nach Eisenach. Nach einiger Zeit wurde einer von diesen Diebesgesellen krank, und weil es mit ihm zum Sterben kam, so[336] schickte er nach einem Beichtvater und offenbarte demselben in der Beichte unter andern auch diesen Diebstahl und wie er die consecrirten Hostien in eine Pfütze geworfen. Der Beichtvater absolvirte ihn und zwar weil er im Todeskampf begriffen war, begab sich aber bald darauf nach Erfurt und zeigte die Sache an. Nun hatte aber vorher ein dort wohnender Geistlicher zuweilen ein Lichtlein bei dieser Pfütze, wohin die consecrirten Hostien geworfen worden waren, gesehen. Daher ward dies dem damals in Erfurt sich befindenden Erzbischof Christian II. angezeigt. Dieser ging mit der sämmtlichen Klerisei dahin, hob das Sacrament, welches noch ganz unverletzt dalag, auf und brachte es unter dem Gesang: »Christus nobis apparuit, venite adoremus,« in die Stiftskirche zu St. Marien, allwo es beigesetzt ward. Ulrich Vierding aber baute an dem Orte, wo die consecrirten Hostien gelegen, eine Kirche, welche noch jetzt steht und die Kapelle zum heil. Brunnen genannt wird. In dieser Kirche ist aber die Geschichte abgemalt und man liest darunter folgende Verse:


Man schreibt tausend zweyhundert Jahr

Und neun und viertzig, das ist wahr,

Da diß Sacrament gestohlen ist,

Als die Legende meldet diß.

Ueber fünff Monat es geschach,

Daß ein Dieb kam gen Eisenach,

In seiner Beicht hat's offenbahrt,

Daß diß Sacrament funden ward.

Hier funden sie den wahren Gott

In der Gestalt des Himmels-Brod.

Aus Freuden sprachen sie all süß

Nunc venite adoremus.

In Gott Vater Bischoff zu Maintz

Erhoben hat diß Sacrament

In neun Particuln aus dem Born,

Da sonst alle Wasser waren gefrohrn.


475

Nach Falkenstein S. 89.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 336-337.
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