437. Die Sage von der Rudelsburg.526

[375] Die Ruinen der alten Rudelsburg, deren Erbauung bald Kaiser Rudolph von Habsburg, bald einem Ritter Namens Rudolph von Münchenhausen (972) zugeschrieben wird, liegen äußerst romantisch auf einem ziemlich hohen Berge an der südlichen Grenze des Königl. Preuß. Herzogthums Sachsen; an dem Fuße desselben strömt die Saale vorüber, gegen Norden fällt der Berg unersteiglich steil ab, gegen Süden ist er mit Kirschbäumen oder Reben bepflanzt und gegen Westen dacht er sich in mehreren Abstufungen gegen den Saalecker Schloßberg, der von jenem durch eine tiefe Schlucht getrennt ist, ab. Von der alten Herrlichkeit der Burg ist noch der Burghof, sowie ein viereckiger Thurm vollständig erhalten. Dicht unter dem Felsen, auf welchem die Burg liegt, bildet die unten vorbeifließende Saale einen Strudel, über dessen Entstehung man folgende Sage hat. Es hat früher auf dem entgegengesetzten Ufer der Saale eine andere Burg gestanden, die sogenannte Krainburg. Die Herren beider Burgen waren mit einander befreundet und theilten sich freundschaftlich in das Recht der Fischerei auf dem Saalstrom. Ja der Besitzer der Krainburg hatte seinen einzigen Sohn der einzigen Tochter des Herrn der Rudelsburg nach beiderseitigem freundschaftlichen Uebereinkommen verlobt. Da wußte der Bischof von Naumburg Letzteren gegen den Besitzer der Krainburg einzunehmen und trieb ihn an, für sich allein das Recht der Fischerei auf der Saale in Anspruch zu nehmen. Natürlich entstand hieraus grimmige Feindschaft zwischen den beiden Familien; beide Väter nahmen ihr Wort zurück und untersagten ihren Kindern aufs Strengste allen und jeden Umgang. Allein zu spät, die beiden Verlobten liebten sich bereits zu heiß, um sich so ohne Weiteres wieder aufzugeben, und in der Nacht trug ein leichter Fischerkahn den Junker von der Krainburg hinüber nach dem Ufer, wo die Rudelsburg lag. Einst bei einem heftigen Gewitter war Letzterer gerade auf der Mitte des Stromes, als sich plötzlich ein Wirbelwind erhob, der die Wellen vom Boden aus in die Höhe wirbelte und bei dem Zurückgehen derselben den Nachen tief in den Abgrund mit hinab zog. Vergeblich harrte die ängstliche Braut am andern Ufer diesen Abend auf ihren Geliebten, er kam nicht, und als sie am andern Morgen am Ufer suchend herumirrte, ob sie vielleicht ein Zeichen fände, daß er hier gelandet und weil er sie nicht getroffen, wieder abgefahren sei, trieb plötzlich der Strom einen röthlichen Streifen nach ihr zu. Sie glaubte die Feldbinde des Junkers, die sie ihm selbst geschenkt hatte, zu erkennen und bückte sich, um sie an sich zu ziehen, da bekam sie das Uebergewicht und stürzte in die Fluthen. So ward sie mit ihrem Bräutigam im Tode vereint, an der Stelle aber, wo beide Liebenden ihr Grab fanden, bemerkt man noch jetzt einen Strudel.

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S. Thüringen und der Harz Bd. IV. S. 103. Poetisch behandelt in der Zeitschrift für die elegante Welt 1819. Febr. No. 40 sq. Ueber die Rudelsburg und Krainburg s. Gottschalk Bd. V. S. 287 sq. III S. 309 sq.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 375.
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