462. Freßkahle zu Wittenberg.547

[394] Jacob Kahle war ein Kohlgärtner zu Wittenberg, lebte ums Jahr 1723 und später und hat durch seinen sonderbaren Appetit sich einen weltberühmten[394] Namen gemacht. Die Natur scheint ihn nicht gerade zu diesem derben Appetit gezwungen zu haben, aber für ein Stück Geld war er sogleich bereit, Alles, was man verlangt, zu verzehren, z.B. einen ganzen Schöps, ein Ferkel etc. Dann wieder einmal acht Schock Pflaumen mit den Kernen, ferner vier Metzen Kirschen etc. Dies zeigt von starkem Hunger, aber sein Appetit verschlang auch irdene Tiegel, Krüge, Schüsseln, Teller etc., ja sogar einmal einen halben Ofen, ferner Glas, Kieselsteine zerquetschte er mit den Zähnen und wenn er in die Bürgerhäuser kam, bat er um eine Kieselsteinsuppe. Man gab ihm dann eine gute Brühsuppe mit Brod; gewöhnlich ließ er die Steine liegen, verlangte man's aber, so aß er sie. Ein anderes Mal verschlang er für Geld einen ganzen Dudelsack, so daß der Spielmann die Flucht ergriff, aus Furcht, daß an ihn selbst die Reihe kommen möchte. Lebendige Thiere, Vögel, Mäuse etc. verschlang er, so daß der eigene Laut dieses Geschöpfes aus seinem Bauche heraus vernommen wurde. Einmal verschluckte er in Gegenwart von sieben, später deshalb eidlich abgehörten Personen ein ganzes Tintenfaß aus Eisen und Zinn, zugleich mit den Federn, Federmesser, Tinte und Sand. Ebenso außerordentlich war seine Stärke mit den Zähnen selbst. Er zog einstmals aus einem Rade mit den Zähnen allein alle die großen Nägel, womit es beschlagen war, heraus. Vermittelst einer bloßen Leine trug er mit den Zähnen den größten Ambos von einer Schmiede weg, den kaum zwei Schmiedegesellen bewegen konnten. Auf seinem Rücken trug er einst vier derbe Bauern aus dem Dorfe Pratau in die Stadt, ohne auszuruhen. Dies trieb er bis ins 60. Jahr, dann fing er aber an mäßig zu leben und brachte sein Leben bis auf 79 Jahre. Als er nach seinem Tode secirt wurde, ward das Innere seines Magens mit langen rauhen Haaren bewachsen gefunden.

547

S. Dr. G.R. Böhmer, De polyphago et allotriophago Wittenbergensi. Viteb. 1757 in 4°.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 394-395.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sagenbuch des Preußischen Staats
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band