476. Die wunderbaren Steine zu Thale.560

[402] Im Fürstenthume Halberstadt, ohngefähr eine Meile von Quedlinburg, unter dem frühern Amte Regenstein liegt ein Dorf, Thale genannt, in welchem sich ein Rittergut befindet, welches früher den Herren von Steuben angehörte. Auf dem Hofe befand sich sonst ein großer Kieselstein von ohngefähr zwei Centnern, welcher ganz rund und stark mit Moos bewachsen war, die andere Hälfte aber liegt in der Erde. Wenige Schritte davon, gegen Mittag, steht ein Gebäude, wo eine Kugel von gleicher Materie, nämlich von Kieselstein, etwa 8 bis 10 Ellen von der Erde in der Wand eingemauert zu sehen ist, doch also, daß man nur die Hälfte davon ansichtig wird. Mit diesen Steinen haben sich vor einiger Zeit allerhand seltsame Dinge zugetragen. Ist z.B. Jemand zu einem dieser Steine getreten und hat darauf gespuckt, hat er[402] sofort eine derbe Maulschelle bekommen. Wenn manchmal neue Mägde auf dem Hofe in Dienste traten und ihre Wäsche ober andere Sachen auf besagtem großen Steine ausklopfen wollten, wurden sie auf gleiche Weise, wie auch diejenigen, welche aus Vorwitz daran geklopft oder sonst etwas darauf geworfen hatten, mit Ohrfeigen bewillkommnet. Das Vieh hingegen, welches diesen Stein berührte oder verunreinigte, pflegte bald darauf zu verrecken, weswegen auch der Besitzer des Gutes sich genöthigt sah, dieselbe Gegend mit einer Mauer zu umschließen und dadurch sowohl dem Vieh als auch unbekannten Menschen den Zugang zu verwehren, jedoch ist der Stein immer unter freiem Himmel liegen geblieben. Man versicherte auch als ganz gewiß, daß diejenigen, welche nur schimpflich von diesem Stein redeten, eben solche Belohnung empfingen, da im Gegentheil Andern nichts widerfuhr, welche den Stein von dem Moos und herumstehenden Nesseln reinigten, sonst aber weder mit Worten noch mit Werken demselben auf schimpfliche Weise zu nahe kamen. Einstmals hat der Besitzer dieses Landgutes das Gebäude niedergerissen und sowohl die Kugel als den großen Stein in die nahe vorbeifließende Bode werfen lassen, damit er diese Unannehmlichkeiten los würde. Allein er hat den erwarteten Zweck nicht erreicht, inmaßen ein Geist in Gestalt eines schwarzen oder grauen Mannes ihm beständig erschienen ist und ihm zugeredet hat, die Steine binnen einer gewissen Zeit wieder an ihren Ort zu bringen, wofern ihm nicht ein großes Unglück widerfahren solle. Da sich nun derselbe darnach nicht gerichtet hat, hat ihm der Geist nochmals eine gewisse Zeit bestimmt, mit dem Andeuten, daß im entgegengesetzten Falle sein Vieh insgesammt verrecken werde. Jener wollte noch nicht gehorchen und mußte in der That bald erfahren, daß alles Vieh auf dem Hofe schleunig hinweggerafft wurde, worauf der Geist ihm solches nochmals unter der Bedrohung, daß er sonst seinen Sohn verlieren werde, auferlegte. Da ihm nun auch der Sohn starb und ihm endlich der Verlust seines eigenen Lebens angedroht ward, er auch selbst bereits anfing krank zu werden, hat er sich zuletzt entschlossen, die Kugel und den Stein wieder an ihre Stelle bringen zu lassen. Allda sind nun beide Stücke heute noch zu sehen, und hat nicht allein Jedermann Ruhe, so lange denselben kein Schimpf widerfährt, sondern der Hof genießt auch fortwährenden reichen Segen in der Haushaltung und im Ackerbau.

560

S. Monatliche Unterredungen aus dem Reiche der Geister, Bd. III. S. 124.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 402-403.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sagenbuch des Preußischen Staats
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band