484. Die Rosenkirche zum Elende.567

[424] An der Straße, welche von Nordhausen nach Heiligenstadt führt, drei Stunden von Sondershaufen und eine Stunde von dem freundlichen Städtchen[424] Bleicherode entfernt liegt auf einem hohen Berge das alte Schloß Lohra. Hinter dem halbverfallenen Thurme, der sich noch bis jetzt erhalten hat und zwischen den neuen Gebäuden hervorragt, stand der Sage nach einst das Bild der Göttin Lohra oder Lara. Am Fuße des Berges aber, da wo jetzt das Dorf Elende liegt, war in einem düstern Haine zu Ehren dieser Göttin ein Altar aufgerichtet, an welchem Jünglinge und Jungfrauen sich die Hände zur ewigen Gemeinschaft zu reichen pflegten und der Göttin opferten. Dieselbe segnete den geschlossenen Ehebund und ließ den jungen Hausstand fröhlich gedeihen; allein wenn Jemand mit falschem Herzen sich nahete und den am Altar geschehenen Schwur brechen wollte, da rächte die Göttin die Untreue fürchterlich und ließ dem Verbrecher ihren Zorn und Rache schwer fühlen. Dieser Dienst dauerte so lange fort, bis der Heidenapostel Bonifacius auch hierher kam, die Tempel der alten Götzen brach und ihre Bildsäulen zerstörte; im Jahre 723 drang er auch in den heiligen Wald ein, in welchem der Göttin Lohra Bildsäulen und Altäre errichtet waren, er zerstörte sie, errichtete aber an derselben Stelle, wahrscheinlich weil das Volk einmal gewohnt war an diesem Orte zu beten, ein Oratorium oder Kapelle zu Ehren der heil. Jungfrau, die in ihrem Leiden und Elende beim Leiden Christi vorgestellt ward, und gab dadurch, wie man sagt, dem jetzigen Dorfe Elende den Namen, obwohl für die Entstehung desselben auch noch andere Erklärungen, die wir weiter unten hinsetzen werden, gegeben werden.

Lange Zeit hatte die von Bonifacius (in seinem Elende bei Lora's Walde, s. unten No. 486) erbaute Kapelle gestanden, ohne daß sie, wie es schien, besonderer Achtung genoß, als plötzlich das darin aufgestellte Muttergottesbild ein Wunder that und dadurch die Augen aller Gläubigen auf sich zog.

Einst zog im Winter in einer stürmischen, unheimlichen Nacht ein Fuhrmann mit einer schweren Ladung Wein auf der damals noch fast unwegsamen Straße dahin. Die Sichel des abnehmenden Mondes blickte nur selten einmal durch die dunkeln Wolken, ein eisiger Nordwind fuhr durch die kahlen Aeste der Bäume, die auf beiden Seiten des Weges standen, trieb den Schnee in die Tiefe und ballte ihn dort zu Schneewehen zusammen, die Luft ward immer schneidender, der Schnee auf der Straße immer höher und kaum vermochten die müden Rosse den schweren Wagen noch fortzuschleppen. Zwar schaute der Fuhrmann sich oft ängstlich um, ob er nicht von irgendwo den Schall menschlicher Stimmen, das Zeichen einer gastlichen Herberge vernehme oder Licht aus einem bewohnten Hause erblicke, allein umsonst, nichts war zu hören und zu sehen, und so fing ihm denn an gar bange um's Herz zu werden, weil er sich sagen mußte, daß seine und seiner Thiere Kräfte bald erlahmen und er wahrscheinlich mit denselben im Schnee umkommen werde. Bald ward seine Befürchtung Wahrheit, der Wagen sank in eine vom Schnee bedeckte Vertiefung und aller Anstrengungen ohngeachtet war er nicht wieder herauszubringen. Laut rief der verlassene Mann um Hilfe, aber Niemand hörte, er hieb auf die Pferde, sie zogen mit der letzten Kraft, aber der Wagen bewegte sich nicht. Verzweiflungsvoll rang er die Hände und flehte zur Himmelskönigin. Sieh da rauschte es in den dürren Zweigen und hinter den Büschen hervor trat eine weibliche Gestalt in überirdischer Schönheit, schlank und schön wie die ewige Jugend, umflossen von rosigem Schimmer wie die Abendröthe und mit ihrem Glanze die Schneemassen erleuchtend.[425] Erschrocken starrte der Fuhrmann nach der schönen Jungfrau, die mit holdseligem Lächeln auf das versunkene Gespann zuschritt und mit einem einzigen Griffe Wagen und Pferde aus der Tiefe zog. Ueberrascht von der geheimnißvollen Erscheinung und erfreut über die unerwartete Hilfe wollte der Fuhrmann der schönen Helferin gern seine Dankbarkeit zu erkennen geben und bedauerte laut, daß er kein Gefäß habe, um ihr für ihre Mühe wenigstens einen Labetrunk von seinem besten Weine reichen zu können. Da berührte die Fremde einen Strauch, der neben ihr seine dürren stachlichen Zacken emporstreckte und plötzlich trieb derselbe Blätter und Knospen und bald war das ganze Gebüsch mit den herrlichsten Rosen bedeckt, die einen wunderlieblichen Duft aushauchten. Die Jungfrau Maria, denn sie war es selbst, brach die herrlichen Blumen ab und formte daraus ein Gefäß, das den Wein enthalten sollte, war aber verschwunden, als der Fuhrmann ihr dasselbe gefüllt reichen wollte.

Die Pferde hatten unterdessen den Wagen mit Leichtigkeit fortgezogen, standen aber plötzlich vor dem Kirchlein zu Elende still und waren nicht von der Stelle zu bringen. Der Fuhrmann betrat ehrfurchtsvoll das Innere der Kapelle, um dem Höchsten für seine Rettung zu danken, erkannte in dem dort aufgestellten Bilde der hohen Himmelskönigin seine Helferin und setzte das Blumengefäß als ein kostbares Heiligthum auf dem Altare selbst nieder.

Mit ungeheurer Schnelligkeit breitete sich nun der Ruhm der Kirche zu Elende aus und Gläubige aus allen Gegenden Deutschlands eilten herbei, um das Wunder zu sehen. Das Original dieses Trinkgefäßes ward nach Rom gebracht, vorher aber ganz genau in Thon nachgebildet, und von dieser Copie wurden in der Mitte des vorigen Jahrhunderts noch einzelne Stücke in Elende vorgezeigt.

Das Marienbild aber fuhr fort, so viele und unzweifelhafte Wunder zu thun, daß man wegen der ungeheuren Menge Andächtiger, welche die Kirche beständig umwimmelten, genöthigt war, fünf große Thüren in die Kirchenmauer zu brechen, um nur das Gedränge der Hinein- und Herausströmenden etwas zu vermeiden. Die Hauptbesucher waren aber Kranke und besonders Gelähmte, welche durch die Berührung des wunderthätigen Bildes geheilt wurden und aus Dankbarkeit eine Menge von aus Wachs gebildeten Gliedern der Kirche darbrachten. Wie jedoch Andere erzählen, hätte der Kranke vorher ein wächsernes Bild desjenigen Theiles seines Körpers, an dem er litt, opfern und aufhängen müssen und erst dann wäre er geheilt worden.

Bald waren alle Wände der Kirche mit einer ungeheuren Menge von Krücken, Wanderstäben u. dgl., welche die Gesunden zum Zeichen ihrer Heilung in derselben zurückgelassen hatten, bedeckt. Durch die reichlichen Gaben der von allen Seiten und sogar aus fernen Landen herbeiströmenden Menge hatte die Kirche bald so viele Schätze aufgehäuft, daß zu dem bereits vorhandenen Nonnenkloster noch ein Wohngebäude für sechs Canonici errichtet und eine neue große, prachtvoll decorirte Kirche erbaut werden konnte, die im Jahre 1400 vollendet und die Rosenkirche genannt wurde, weil sie unter dem Dache mit 172 großen und 2 kleinen in Stein gehauenen Rosen geziert war. Außerdem erbaute man noch eine mit einem Thurm und dem Hohenstein'schen Wappen gezierte Kapelle, welche ausschließlich dem Dienste der Jungfrau Maria geweiht war.[426]

Im Bauernkriege griffen die Bauern im Lohraischen ebenfalls zu den Waffen, zerstörten die Klöster Dietenborn und Münchenlohra und zogen (1525) dann nach Elende. Sie plünderten die schöne Kirche, zerstörten sie aber nicht, wahrscheinlich aus der ihnen von Jugend auf eingeflößten Ehrfurcht; dagegen beschlossen sie an der Pfarrwohnung sich schadlos zu halten. Als sie nun der Pfarrer heranziehen sah und sich schon bereit machte, der schönen Erde Valet zu sagen, siehe da kam ihm ein kluger Gedanke. Er war ein eifriger Bienenvater und besaß zahlreiche Bienenstöcke. Dieselben holte er schnell herbei und stellte sie mit der Vorderseite gegen die Hausthüre gleich einer Batterie vor sich hin und schlug in dem Augenblicke, wo die Bauern heranstürmten, von hinten mit einem Stocke daran. Die Bienen fuhren wild aus ihren Wohnungen heraus und auf die andringenden Bauern ein, die so jämmerlich von ihnen zerstochen wurden, daß sie wie Spreu auseinanderstäubten und sich nach allen Seiten hin zerstreuten.

Als sich jedoch die evangelische Religion in der Grafschaft Hohnstein immer weiter ausbreitete, sah sich die Jungfrau Maria mehr und mehr vernachlässigt. Sie war darüber sehr betrübt und that Zeichen und Wunder, um die Wankenden und Kaltsinnigen zu ihrem Dienste zurückzuführen. So fingen im Jahre 1619 plötzlich alle Glocken an von selbst zu läuten, und als man nach den Thürmen eilte, so schwieg das Geläute und es war Niemand zu sehen. Als im Jahre 1620 die Gläubigen zur Kirche kamen, fanden sie die Mutter Maria mitten in der Kirche auf dem Angesicht liegend, wie im tiefsten Schmerze, und da auch dieses Zeichen keinen Erfolg hatte, so verwandelte sie 1632 das Wasser im Teiche zu Elende viermal in Blut, aber dennoch blieben alle ihre Bemühungen vergeblich. Im Jahre 1656 ward die evangelische Religion in der ganzen Grafschaft förmlich und feierlich eingeführt, die sechs Canonici, welche in Elende residirt hatten, wurden abgeschafft, die Einkünfte des Stifts, welche außer den reichen Geschenken nur in Zinsfrüchten bestanden, an die Räthe Böttcher, von Zangen und von Bila gegeben oder verkauft, und nur einen geringen Theil davon behielten die beiden Pfarrherren zu Lohra und Elende zu ihrem Unterhalte. Das gnadenreiche Bild der Maria aber ward von der Stelle, auf der es Jahrhunderte hindurch von unzähligen Tausenden hochverehrt und gefeiert gestanden, herabgenommen und in die Sacristei gebracht, worüber jene aber so böse ward, daß sie an einem schönen thauigen Morgen Elende verließ und nach Heiligenstadt auf dem Eichsfelde wanderte, wo sie mit lautem Jubel empfangen ward. Noch heute hält man sie dort in hohen Ehren und zeigt ihr Kleid, dessen Saum noch immer naß vom Thau ist. Freilich sagt man, daß der damalige Küster zu Elende, Konradi, ein geheimer, aber eifriger Katholik und ein überaus schlauer Mann, die vermeintlichen Wunder gethan und das Marienbild heimlich nach Heiligenstadt geschafft habe.

Seit dieser Zeit wurde gar nichts mehr auf die Erhaltung der herrlichen Rosenkirche verwendet und sie zerfiel nach und nach gleich der Marienkapelle, deren Thurm abgebrochen ward, um seine Steine beim Bau der Pfarrwohnung zu benutzen. In einem Theile der Rosenkirche wurde aber noch lange Gottesdienst gehalten und ihr Ruf war noch so groß, daß sie von vielen Reisenden besucht ward, ja daß sogar im 7jährigen Kriege die dorthin kommenden Franzosen nach ihr frugen und sagten, sie hätten von ihr schon[427] in Paris gehört. Endlich ward aber in den siebenziger Jahren alles, was noch in ihr von Reliquien war, in die neuerbaute katholische Kirche nach Friedrichslohra gebracht, so außer einer kleinen Glocke der große Christoph in Lebensgröße, welcher inwendig hohl und so geräumig war, daß sich Jemand in ihm verbergen und aus ihm heraus sprechen konnte etc. Unter den Bildern der Heiligen werden die Maria im Chor, die mit einer unverweslichen Schürze bekleidet war, und der mit Dornen gekrönte Heiland als die bedeutendsten genannt. Endlich ward die Rosenkirche, weil ihr der Einsturz drohte, zu Ende des vorigen Jahrhunderts bis auf einen unbedeutenden Rest, in welchem noch jetzt Gottesdienst gehalten wird und der früher wahrscheinlich eine Seitenkapelle war, abgebrochen, das Hospital aber hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten.

Es sollen nun aber in Elende verschiedene Schätze vergraben sein, und zwar nach Einigen von Templern, welche auf Lohra eine Kapelle hatten, von welcher ein unterirdischer Gang nach Lohra führte. Nach Andern hätten dagegen die vertriebenen Canonici, welche lange vorher ihr Schicksal geahnet, einen ungeheuren Schatz von vielen Hunderttausenden hinter dem Altare vergraben und den Platz durch ein in einen Pfeiler eingehauenes Grabscheit und ein aus der Mauer hervorragendes Stück Mantel bezeichnet, und wirklich erinnern sich noch einige Leute, diese Zeichen gesehen zu haben. Nach einer andern Sage wurde in jedem Kloster für den Fall, daß es etwa zerstört würde, so viel Geld vergraben, als zu einem neuen Bau nöthig war. Um diesen Platz wußten aber nur wenige zuverlässige Ordensleute, wogegen in Rom sich eine genaue Anweisung befand, wo die Schätze standen, und daher kommt es, daß man zuweilen in verwüsteten Klöstern, z.B. in Walkenried, Mönche erblickt hat, welche nachsehen mußten, ob die Stellen, wo die Schätze liegen, auch noch unversehrt seien.

Ueber den Ursprung der Benennung des Ortes ist man nicht einig; nach Einigen rührt dieselbe von Bonifacius selbst her, nach Andern soll der Ort darum Elende genannt worden sein, weil die Jungfrau Maria dem Fuhrmann in seiner Noth und Elende beigestanden, oder weil viele Kranke hier von ihrem Elende befreit worden wären, oder weil viele Elende hier ein Unterkommen gefunden hätten. Endlich soll der Name gar von der elenden Beschaffenheit des Ortes selbst herrühren, weil die Einwohner desselben immer größeren Wassermangel und einst eine wirkliche Wassersnoth erlitten hätten, als ein naher Teich, Elend's einziger Trost, ausgetrocknet sei.

In der Umgegend von Elende befindet sich auch die sogenannte Knochenquelle oder der Knöchelbrunnen, sieben verschiedene, in einem Umkreise von sechs Fuß entspringende Quellen, die alle unklares, überaus kaltes, aber untrinkbares und im Winter nie zufrierendes Wasser hatten. Diese Brunnen warfen aber, als sie noch nicht verschüttet waren, was jetzt mit ihnen so ziemlich vollständig der Fall ist, feine weiße, hellbraune und schwarze Knochen aus, die von Vögeln, Fröschen, ja selbst von kleinen vierfüßigen Thieren herrührten, über deren Hineinkommen in das ätzende Wasser jedoch eine gegründete Ursache nicht angegeben werden kann.

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S. Thüringen und der Harz, Bd. I. S. 152 etc. v. Rohr, Merkwürdigkeiten des Oberharzes S. 139.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 424-428.
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