591. Der Rammelsberg und der Kinderbrunnen bei Goslar.695

[544] Der Rammelsberg liegt gegen Mittag an dem Oberharz nahe bei der Stadt Goslar und ist ein sehr großer, hoher und außerhalb unfruchtbarer Berg, denn man trifft auf demselben keine Tannenbäume wie auf den benachbarten Bergen an, sondern es ist derselbe nur mit Heidelbeeren, Preißelbeeren, Heidekraut und wenig Sträuchern bewachsen. In seiner Höhe ist er wunderbarlich zerborsten, maßen man über den Obergruben einen Riß sieht, der an etlichen Orten 3-4 Ellen weit, bei 100 Lachter lang und so tief ist, daß man nicht auf den Grund sehen kann, welcher Riß auch, der Bergleute Bericht nach, von Jahr zu Jahr weiter werden soll; woher aber solcher entstanden sei, darüber hat man keine eigentliche und gewisse Nachricht, doch vermeinen Einige, daß sich der Berg von Zeit zu Zeit auseinander begeben, als derselbe einmal, wie man in der alten Sächsischen Chronik sieht, eingegangen sei und bei vierthalb hundert Weiber auf einen Tag zu Wittfrauen gemacht habe, welche alle vor dem Berge gestanden und ihre Männer betrauert hätten. Der Name dieses Berges rührt von dem Erfinder der Rammelsbergischen Bergwerke her und hat es sich damit folgendermaßen zugetragen. Als Kaiser Otto, der Erste dieses Namens, nicht gar weit von Goslar auf der Harzburg seinen Hof gehalten und vielfältig in dem Harzgebirge hat jagen lassen, begiebt es sich einstmals, daß einer von seinen vornehmen Jägern, Ramm genannt, auf Befehl des Kaisers an den Vorbergen des Harzes jagt; wie er nun an einen Berg gekommen ist und der Höhe wegen nicht weiter mit dem Pferde dem Wilde nacheilen kann, bindet derselbe sein Pferd irgendwo an und folgt zu Fuße dem Wilde nach. Indessen als solches geschieht und der Jäger etwas lange ausbleibt, verlangt das Pferd nach seinem Herrn und scharrt der Pferde Art nach heftig mit den Vorderfüßen, wodurch ohngefähr ein Erzgang entblößt wird, davon der Jäger bei seiner Wiederkunft eine Stufe mitnimmt und dem Kaiser zeigt, der solches probiren und aus Liebe, die er zum Bergwerk getragen, allda einschlagen läßt; nachdem aber solches geglückt und die Bergleute je länger je mehr den Berg mit Bauen angegriffen, hat der Kaiser dem Berge nach dem Jäger Ramm den Namen Rammelsberg gegeben, wie er denn noch bis auf[544] den heutigen Tag also heißt. Es wollen zwar Einige vorgeben, daß der Berg seinen Namen nicht von dem Jäger, sondern von dem Pferd bekommen habe, als welches von seinem Herrn Ramm genannt worden sei.

Dieser Berg hat nun aber auf der Seite gegen den Herzberg zu einen schönen klaren Brunnen, der eines Armes dick quillt und von den Einwohnern der Stadt Goslar und andern Benachbarten der Kinderbrunnen genannt wird, wie denn auch ein Gewölbe darüber geschlossen ist, über dessen Thüre zwei in Stein, gehauene Kinder zu sehen sind. Man erzählt aber, daß im Jahr 1016 ein kaiserlicher Hofdiener, welcher des ersten Erfinders der Rammelsbergischen Bergwerke Bruders Sohn gewesen und Günther Karl geheißen haben soll, sich den Rammelsberg von Kaiser Heinrich dem Andern ausgebeten habe, da es sich denn zugetragen, daß einstmals dessen hochschwangere Frau Lust bekommen habe den Berg zu besehen und sei dieserhalb mit ihrem Herrn Lusts halber dahin spazieren gegangen; als sie nun beim Rückwege unter andern an dem Berge und Brunnen angelangt, wären ihr daselbst die Geburtsschmerzen plötzlich angekommen und hätte sie zwei junge Söhne zur Welt geboren, von welchen Kindern der Brunnen noch heutigen Tages seinen Namen habe, daß er der Kinderbrunnen genannt werde, welcher auch hernach auf Befehl Kaiser Konrads, des Andern dieses Namens, durch Röhren in den damaligen Palast zu Goslar geführt worden. Auch der Frau jenes Jägers, Gosa genennet, hat man die Ehre angethan und nach ihrem Namen die Stadt Goslar und das dahin fließende Wasser die Gose geheißen. Man hat auch den Jäger und sein Weib nach ihrem Absterben nicht allein zu Goslar in der St. Augustinuskapelle, die auf dem Frankenbergischen Kirchhofe steht, begraben, sondern auch ihnen zu Ehren einen großen Stein auf ihr Grab legen lassen, darauf sie beide in Lebensgroße gehauen sind, und hält der Jäger in seiner rechten Hand ein Schwert über sich, seine Frau trägt aber eine Krone auf dem Kopfe. Dieser Stein ist vormals, als man den Bürgermeister Kersten oder Christian Balder in diese Kapelle begraben hat und zu dem Ende das Grab daselbst machen wollte, fast drei Fuß tief in der Erde gefunden worden, worauf ihn der Rath zu Goslar zum ewigen Gedächtniß an der Kapelle hat aufrecht hinstellen lassen, damit er von Jedermann gesehen werden könne. Zum Gedächtniß an die Frau des Jägers wird aber heute noch das aus dem Wasser des Flüßchens Gose gebraute Bier ebenfalls Gose genannt, von dem ein alter Vers also singt:696


Es ist zwar ein sehr gutes Bier die Goslarische Gose,

Doch wenn man meint, sie sei im Bauch, so liegt sie in der Hose,


was am Besten auf die Wirkung dieses Getränks hindeutet.

695

Nach Behrens, Hercynia Curiosa S. 144. cf. S. 104.

696

S. Behrens S. 124. etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 544-545.
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