660. Der verschlafene Mönch auf der Konradsburg.774

[619] Die Erbauung der im Mansfelder Gebirgskreise bei Ermsleben gelegenen Konradsburg geht in die ersten Jahre des 10. Jahrhunderts zurück; bis 1112 wurde sie von der Ritterfamilie Konradsburg bewohnt, welche aber um diese Zeit die Feste Falkenstein erbaute, nach derselben sich nannte und vermöge eines Gelübdes die Konradsburg in ein Benedictinerkloster, zu Unserer Lieben Frauen Botschaft genannt, umwandelte. Im Anfange des 16. Jahrhunderts besetzte man das Kloster mit Karthäusern, die aber 1525, als es bis auf die Kirche im Bauernaufruhr niederbrannte, entfliehen mußten. Jetzt ist es ein königl. preuß. Vorwerk, dem Kammergute Ermsleben einverleibt. Zu diesem Behufe sind auch im Klostergebäude Wirthschaftsräume angelegt worden, die ehemaligen Zimmer des Abts bewohnt Rüsselvieh, im Weinkeller lagern Gemüsehaufen, die noch unbeschädigte Kirche hat man zu einer Scheuer gemacht und ihre Kreuzgänge, von wohlgewölbten Pfeilern getragen, dienen zu Strohmagazinen.

Von dieser Burg existirt aber folgende merkwürdige Sage. Ein Mönch war den Spießen der rasenden Bauern entronnen, hatte sich im Weinkeller verkrochen und war vom geistreichen Naß desselben berauscht eingeschlafen. Als er erwacht und blos ein Räuschchen verschlafen zu haben meint, will er[619] zu dem geliebten Fasse zurückkehren, allein er sucht es vergebens, tappt in der Finsterniß umher, stolpert über allerlei runde Dinge und fällt endlich gar über einen Haufen langer geschwänzter Wesen, die er nach öfterem Zurückrollen mühsam überklettert. Unwirsch und im heiligen Eifer verwünscht der Mönch dieses Ungemach und findet nach langem Umhergreifen und Fühlen endlich die Thür. Grollend über so ungeziemende Streiche beschließt er sofort seinem Vorgesetzten, dem Herrn Abt, Anzeige zu machen und Genugthuung zu fordern. Er schlüpft also durch die offene, blos angelegte Thüre, sieht sich auch nicht um, sondern öffnet sogleich die Wohnstube des Abts. Aber, o Himmel, wie erstaunt der Entrüstete! Statt des heiligen Mannes, der ihm so oft freundlich entgegenwinkte, wenn er einen Humpen Hochheimer auftischte, grunzte den Verblüfften eine Heerde weltlicher Säue an, die er aus dem Mittagsschlummer störte. Entsetzen ergreift ihn, er eilt nach der Kirche, aber hier klappern Dreschflegel und einer der Drescher macht ihn aufmerksam, daß er sich verirrt haben müsse. »Nicht möglich!« ruft der Mönch, ergreift in der Küche ein Licht und taumelt zurück in den Keller. Doch hier erblickt er, Wunder über Wunder! – statt voller Weinfässer Krautköpfe, Möhren, Rüben etc. über einander gehäuft. Da erschallt eine Stimme: »Thor, dies hat sich seit hundert Jahren hier zugetragen! Geh und erzähle Deinen Brüdern in der Unterwelt, welchen Stoß Doctor Luther, einer Deiner früheren Collegen, dem Mönchswesen beigebracht hat!« Damit sank der Klosterbruder nun wirklich in Todesschlaf, aus dem er nicht wieder erwachte.

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Nach Fischer und Stuckart, Burgvesten der Preuß. Monarchie Bd. I. S. 143. etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 619-620.
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