730. Der Marienbrunnen zu Paderborn.847

[690] Auf dem Jesuitenhofe zu Paderborn steht ein ehernes Marienbild über einem ganz verfallenen Brunnen, von dem man Folgendes erzählt.

Es kam einmal in den heißesten Tagen des August ein Bettler nach Paderborn und flehte um Gottes Willen um einen kühlenden Trunk. Aber, sei es Zufall oder Hartherzigkeit, der Arme ward an allen Thüren abgewiesen und konnte nirgends einen Trunk erhalten. So ward es Mittag und immer heißer und der Arme hatte sich immer noch nicht laben können. So schleppte er sich endlich bis zum Jesuitercollegium hin, allein er war viel zu schwach, um die hohen Treppen zu erklimmen und die geistlichen Herren um eine Erquickung anzuflehen. Da gewahrte er im Hofe das Muttergottesbild, er hob zu ihm seine zitternden Hände und rief mit kläglicher Stimme: »Maria, Du Heilige, schaffe meiner glühenden Zunge Labung oder laß mich hier sterben!« Siehe, da kam plötzlich silberhelles, kaltes Wasser aus den Brüsten der Mutter Gottes hervor, der müde Greis labte sich und ging, die heil. Jungfrau preisend, von dannen. Die Väter Jesuiten aber hatten Alles gesehen und beeilten sich das wunderbare Wasser aufzufangen, auch ließen sie an der Stelle nachgraben, viele hundert Fuß tief, aber der heilige Quell war längst wieder versiegt und einen andern fanden sie nicht. So ließen sie endlich die Arbeit liegen, der Brunnen ward nach und nach verschüttet, das[690] Steingeländer zerfiel und verwitterte und heute sieht man kaum noch einige Spuren desselben. Das Muttergottesbild aber steht noch immer finster und ehrwürdig.

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S. Seiler S. 69.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 690-691.
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