783. Die Sagen von den Extersteinen.

[733] Zwischen der lippe-detmoldschen Stadt Horn und der Stadt Paderborn befinden sich die berühmten Extersteine, sonst auch Eggestersteine vom Volke genannt, angeblich weil die Elstern in der Höhe des größten derselben, wo Niemand hinkommen kann, sich ihre Nester gebaut und ihre Jungen ausgebrütet haben sollen.905 Sie sind nicht am Berge, sondern auf einem ebenen Platze aufgerichtet und können unmöglich von Menschenhänden dorthin gekommen sein, sondern rühren wahrscheinlich von einer Erdumwälzung her, welche durch Ueberfluthung die sandigen Berge um dieselben fortgespühlt hat, so daß sie allein bloß stehen geblieben sind. Sie sind 100-125 Fuß hoch, zum Theil mit Kammern versehene Sandsteinfelsen und waren bis zur Zeit des heil. Bonifacius der Hauptsitz des germanischen Heidenthums und auf den daselbst befindlichen Opferaltären wurden die gefangenen Römer nach der Niederlage des Varus geschlachtet. Auf dem höchsten derselben stand ein Götzentempel, zu dem eine in den Felsen gehauene Treppe hinaufführte. Dieselbe ward zur Zeit Karls des Gr. in eine christliche Kapelle verwandelt, die im 11. Jahrhundert bereits in Urkunden erwähnt wird. Zwei Jahrhunderte nachher wurden diese Felsengemächer Sitze von Einsiedlern und eine Station zwischen dem Kloster zu Werden und Helmstädt. Diesen Zeiten verdanken wahrscheinlich die kolossalen in die Felsen gehauenen Bilder, die gleichsam den Sieg des Christenthums über das Heidenthum beurkunden, ihre Entstehung. Die an der äußersten Fläche befindliche Kreuzesabnahme mit ihren Sinnbildern ist wohl das älteste Bildhauerwerk in Stein, das wir aus christlicher Zeit in Deutschland besitzen und ist seiner Zusammensetzung und musterhaften Arbeit wegen von hohem Werthe. Von diesen Felsen giebt es nun einige Sagen, die also lauten.

Als Karl der Große mit Gewalt der Waffen das Christenthum in ganz Deutschland einführte, widerstand ihm zuletzt nur noch der Sassenherzog mit den Seinen, allein auch die Kraft dieses letzten Vorkämpfers des Heidenthums erlahmte endlich und seine Macht ward alle Tage schwächer. Da erschien demselben auf einmal des Nachts der Teufel und versprach ihm, einen Heidentempel zu bauen, der so gewaltig sein sollte, daß ihn der starke Karl wohl stehen lassen sollte. Um denselben sollten sich sodann Alle, die noch den alten Göttern treu wären, in fester Einigkeit schaaren, selbst Viele der Neubekehrten würden wieder umkehren, da in ihren Herzen der christliche Glaube doch nur erst schwache Wurzel getrieben habe und dafür, versicherte der Teufel, wolle er nichts Anderes, als daß nur Wittekind und die Seinen dem[733] väterlichen Glauben niemals entsagen sollten! Mit Freuden willigte der Herzog ein und der Teufel versprach dagegen den Bau in der nächsten Vollmondsnacht zu vollenden. Von dieser Zeit an waren aber Herzog Wittekinds Waffen gegen Kaiser Karl wunderbarer Weise siegreich und sein Anhang vermehrte sich von Tag zu Tag. So kam die Zeit des Vollmonds und der Teufel begann sein Werk. Ungeheure Felsen schleppte er aus aller Welt Enden zusammen und thürmte sie zu Gewölben und Hallen von ungeheurem Umfange über einander. Aber als nun der Riesentempel beinahe ganz vollendet dastand, da hat es Gott dem Wittekind plötzlich ins Herz gegeben, daß er seinen argen Wahn erkannte. Eiligst ging er hin in das Lager seines Feindes Karl und ließ sich reumüthig taufen. Da das der Teufel gewahr ward, fuhr er in großer Wuth über den Tempel her und riß Säulen und Wände und Giebel mit entsetzlicher Kraft auseinander, die Felsen hier und dorthin zerstreuend. Das sind die Eggestersteine, die noch jetzt grau und verwittert am Eingange in den Teutoburger Wald zu sehen sind. Auf der Höhe des einen findet sich ein Gemach mit einem Opfersteine, welches der Teufel zu zerstören vergessen haben mag. Als nun aus dem Heidentempel eine christliche Kapelle geworden und ein mächtiges Kreuz in die Felsenwand gehauen worden war, da rief von der Kuppe des Felsens ein Glöcklein die Gläubigen zum Gebete und Tausende strömten hin zu diesem Gnadenort. Der Teufel aber, der vor Aerger lange nicht wieder an den Ort gekommen war, verspürte eines Tages Lust, sich an seinem frühern Tummelplatz umzusehen. Er fuhr also aus weiter Ferne in der Luft daher nach den Extersteinen, allein wie ward ihm, als er von Weitem einen Priester vor dem Altar der Kapelle im Gebete stehen sah und rings um ihn eine große Anzahl andächtiger Beter. Da ergriff er in wüthendem Groll einen mächtigen Felsblock und schleuderte ihn genau zielend nach der Schlucht, auf daß er den Priester zermalmen möchte. Der Stein sauste fort in brausender Schnelle, der Priester aber, der ihn kommen sah, hob vor der Kapelle das Kreuz empor und es stockte der Stein im Fluge, hielt still und ruhte plötzlich auf schroffer Felsenkante. Der Teufel aber, der wohl wußte, wer ihn hier festbannte, flog in ohnmächtiger Wuth mit den Zähnen knirschend von dannen, jener Stein aber hängt heute noch hoch oben auf der Höhe, dräuet Allen, als wenn er eben fallen wolle, ja wenn der Wind scharf weht, so bewegt er ihn, aber er bleibt gleichwohl oben hängen, denn der, welcher ihn dort oben angeheftet hat, läßt ihn nicht herabstürzen. Die Leute in der Umgegend aber erzählen, er werde einst eine Lippische Fürstin zerschmettern.

Eine andere Sage erzählt, der Teufel habe einst, als hier die Andacht der Wallfahrer noch sehr im Schwunge war, diese Felsen umstürzen wollen und sich deshalb mit aller Macht gegen sie gestemmt, sie aber doch nicht umwerfen können, wohl aber hat er so gegen dieselben sich gedrängt, daß sein Hinterer, wie man noch sehen kann, sich tief in den Stein gedrückt hat, auch die lichte Lohe ihm hinten herausgefahren ist, also daß dieselbe einen Brandfleck an dem Felsen hinterlassen hat. Letzterer ist indeß jetzt nicht mehr zu sehen, da er von Erde und Buschwerk bedeckt ist.

905

Nach Kuhn, Westphäl. Sagen S. 225 kommt aber der Name von Agi, Egi, d.h. Schlange, Drache her und bezeichnet einen vom Gebirge herabstürzenden Wildbach.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 733-734.
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