791. Die Sage von der Freudenburg.913

[744] Im Regierungsbezirk Arnsberg der westphälischen Provinz des Königreichs Preußen über dem Flecken Freudenberg liegen auf steiler Berghöhe die wenigen Ueberreste der alten Burg Freudenburg, von denen aus man eine herrliche Aussicht in die lachenden unter ihr liegenden Thäler genießt. In dem Besitze derselben befand sich im 14. Jahrhundert eine adelige Familie von Wildenstein. Nun war aber der letzte männliche Besitzer aus diesem Hause, Ritter Siegfried von Wildenstein in einer Fehde gefallen und hatte ein einziges Kind, ein vierzehnjähriges Mädchen hinterlassen, die sehr bald zu einer herrlichen Jungfrau aufblühte. Allerdings sollte ihre Tante, die Schwester ihres Vaters, welche unvermählt auf der Veste lebte, ihre Erziehung leiten, allein dieselbe bekümmerte sich nur wenig darum und das Mädchen selbst als reiche und einzige Erbin der Güter ihres Vaters wollte natürlich auch von einer armen Anverwandten keine Lehre annehmen. Es fehlte natürlich auch nicht an jungen und schönen Freiern, die sich um die Hand der reichen Erbin bewarben, allein dieselbe zeichnete keinen aus, vernachlässigte aber auch ebensowenig einen und so kam es, daß sie anfangs zwar zufrieden war, von zahlreichen Anbetern umlagert zu sein, bald aber eine Art Vergnügen daran fand, unter den Einzelnen geheime Eifersucht zu erregen. Doch Keiner konnte sich noch immer einer Bevorzugung rühmen, da kam ein Ritter von Arnburg, der am kaiserlichen Hofe erzogen und wie dazu geschaffen war, allen Mädchen die Köpfe zu verdrehen, auf die Burg und schien sich um die Jungfrau bewerben zu wollen. Diesem schenkte sie ihr Herz und da der Ritter sein Glück zu benutzen verstand, so wußte er über ihre Tugend zu siegen und verließ sie, nachdem er dieselbe verführt hatte. Einmal gefallen, ergab sie sich nun aber einem leichtsinnigen und frevelhaften Leben und dachte nicht mehr an eine ernste Verbindung. Fest reihte sich auf der Burg an Fest und so lebte sie einige Jahre im Taumel wollüstiger Freuden, so daß ihre Burg jetzt den Namen der Freudenburg mit Recht trug. Als aber ihre Reize mit den Jahren abzunehmen begannen, da beschloß sie irgend einen ihrer zahlreichen Anbeter fest an sich zu fesseln und wählte dazu einen noch unerfahrenen Junker, Namens von Wartau, der sich auch von ihr umgarnen ließ und sie heirathete. Spottend des blinden Thoren zogen nun ihre übrigen Verehrer aus der Burg und es schien auch, als habe die wahre Liebe ihres Erwählten ihr Herz gebessert, denn sie lebte einige Zeit still und sittlich mit ihrem Gatten. Allein bald dünkte ihr diese Einförmigkeit abgeschmackt, sie sehnte sich zurück in den wechselnden Kreis ihres früheren Lebens. Ihr Gemahl jedoch wußte dies zu hindern, allein dadurch ward er ihr zuwider und da sie nun keine andern Männer um sich sehen konnte, richteten sich ihre begehrlichen Blicke nach unten auf die Knappen ihres Mannes. Es konnte nicht fehlen, daß ihr unter denselben einer gefiel und sie wußte es so einzurichten, daß derselbe sie einstmals scheinbar schlafend in dem an die Burg grenzenden Eichwalde in sehr verführerischer Stellung fand. Zwar wollte derselbe anfangs sich abwenden und die Schläferin ungeweckt lassen, allein die böse Lust war zu groß in ihm, er nahte sich ihr und ehe er es sich versah, lag er in ihren Armen. Damit waren die Schranken gefallen, welche[745] die Ehrfurcht bisher zwischen beiden Theilen gezogen hatte; wie natürlich blieb es nicht bei der einen Zusammenkunft, es folgten mehrere, aber auch der Verräther schlief nicht, und als sie eines Abends wieder im Eichwalde sich verbotenen Umarmungen hingaben, war auch der beleidigte Gatte zur Stelle und ermordete sie beide. Er entfloh darauf und fand seinen Tod im heiligen Kriege, die Burg aber kam (1392) in den Besitz der Grafen von Wertheim, die sie von Grund aus niederrissen und neu bauten. Auf der Höhe des Berges aber, in dem Eichwalde, wo die beiden Verbrecher starben, irren ihre Schatten noch heute herum und schrecken den nächtlichen Wanderer.

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S. Fischer Bd. II. S. 268 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 744-746.
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