822. Die Gründung des Klosters Weddinghausen.943

[774] In dem anmuthigen Ruhrthale lebte vor ohngefähr siebenhundert Jahren ein alter Bauer, Namens Wedde, der sich spärlich vom Fischen und Holzhauen nährte, aber eine sehr schöne Enkelin von ohngefähr achtzehn Jahren besaß. Sie war aber auch eben so fromm als gut und ließ keinen Festtag vergehen, ohne daß sie nach der eine halbe Stunde von ihrer Hütte gelegenen Burg Arnsberg ging, um in der dortigen Kapelle die Messe zu hören. Nun herrschte aber zu dieser Zeit auf der genannten Burg ein Graf Heinrich von Arnsberg, ein tapferer, aber jähzorniger Mann, ein Freund des Weines und der Weiber. Derselbe hatte aber noch einen jüngern Bruder gleiches Namens, tapfer und großmüthig, leutselig und brav und immer heitern Sinnes. Beide sahen das schöne Mädchen und beschlossen, sie solle die ihrige werden. Sie bedienten sich aber zur Erreichung ihres Zweckes verschiedener Mittel. Der ältere bot dem Mädchen theils selbst, theils durch einen seiner Diener reiche Geschenke, wenn sie ihm zu Willen sein wolle, der jüngere aber ging selbst zu ihr und buhlte um ihre Gunst, allein einer mit so wenig Erfolg als der andere. Da wurde der ältere sehr zornig und beschloß, das Mädchen mit Gewalt auf das Schloß bringen zu lassen, der jüngere aber, der davon Kunde erhielt, empfand Mitleid mit dem Mädchen, und da dieses ihm zugestanden hatte, daß sie einen armen Fischer liebe, so bot er ihr an, mit ihrem Vater und ihrem Geliebten sich in die Gegend von Dortmund zu flüchten, wo er einen Freund hatte, an den er sie empfehlen konnte. Sie nahmen natürlich auch dieses Anerbieten dankbar an und entwichen aus der Gegend und als eines Nachts die Leute des ältern Grafen kamen, um das Mädchen zu entführen, fanden sie die Hütte leer. Nun hatte aber der Jäger des ältern Grafen schon längst demselben vorgespiegelt, sein Bruder sei der beglückte Liebhaber, und es kostete ihm natürlich jetzt keine Mühe ihm einzureden, daß derselbe sie zu seiner Unterhaltung auf die Seite geschafft habe. Dadurch erhielt die Spannung, die bereits seit lange zwischen den beiden Brüdern herrschte, neue Nahrung, allein für den Augenblick mußte der ältere seinen Groll in sich verschließen, denn beide mußten mit ihren Dienstmannen von Arnsberg weg dem Heerbanne des Herzogs Heinrich des Löwen folgen, der im Norden mit den Dänen und Dithmarsen Krieg führte. In diesem Feldzuge that sich nun aber namentlich der jüngere Graf durch seine Tapferkeit hervor, so daß ihm der Herzog ein bedeutendes Lehen, im Lande Mecklenburg gelegen, als Lohn seiner muthvollen Thaten versprach. Auf dasselbe Lehen hatte aber auch der ältere[774] Bruder sein Absehen gerichtet und weil ihm nun dasselbe entgehen sollte, so ergrimmte er gegen den leiblichen Bruder und fing an ihn tödtlich zu hassen. Sein Leibjäger aber schürte diesen Haß noch mehr an, weil er glaubte, ihm sei durch den jüngern Grafen die reiche Belohnung zu Wasser gemacht worden, die ihm die Entführung der jungen Fischerin jedenfalls eingetragen hätte.

Als sie nun nach beendigtem Kriege wieder nach Arnsberg zurückgekehrt waren, benutzte der ältere Graf die Gelegenheit, daß sein Bruder sich einmal an seinem Jäger vergriff, von dem er in Erfahrung gebracht hatte, daß er ihn bei seinem ältern Bruder verhetzt habe, ließ ihn festnehmen, binden und in einen finstern Thurm werfen und verdammte ihn zum Hungertode. Da lag nun der edle Jüngling tief unter der Erde, bei Molch und Kröte auf dem nassen Steine, ohne Speise und Trank, mit Ketten beladen und mußte noch fast jede Stunde den Hohn des bösen Knechtes mit anhören, welchen sein Bruder zu seinem Kerkermeister bestellt hatte. Zwar bat der junge Graf, er möge doch bei seinem Bruder für ihn eine Fürbitte einlegen oder ihm doch wenigstens einen Priester schicken, dem er beichten könne; er fand keine Erhörung und als der Jäger am vierten Tage wiederkam, um nach ihm zu sehen, war er schon mehrere Stunden zuvor verschieden.

Ein Diener des Gemordeten war aber heimlich entflohen und hatte Heinrich dem Löwen die Kunde von dem Brudermord gebracht; auf dessen Antrieb sammelten die Bischöfe von Cöln, Münster, Minden und Paderborn ein Heer und zogen unter der Anführung des Herzogs vor Arnsberg, belagerten und zerstörten die Burg und der Graf mußte froh sein, sein Leben zu retten. So zog er als Flüchtling lange Zeit herum, bis es ihm gelang, dadurch, daß er alle seine Güter dem Erzbisthum Cöln zu überlassen versprach, den Erzbischof zu veranlassen, bei dem Kaiser die Aufhebung der gegen ihn verhängten Acht durchzusetzen. So gelangte er wieder in den Besitz seiner Herrschaft, kehrte nach Arnsberg zurück, das er wieder herstellte, verheirathete sich und zeugte zwei Söhne; seines Lebens ward er aber nie wieder froh, denn das böse Gewissen und die Reue plagten ihn unausgesetzt. So ließ ihm der geheime Kummer auch an keinem Orte Ruhe und er streifte ewig in allen Gauen Westphalens herum. Da kam er einmal auch in der Gegend von Dortmund in einen Wald, wo er keinen Ausweg finden konnte; endlich aber öffnete sich das Gehölz und er stieß auf eine saubere Hütte. Er beschloß, hier einen Labetrunk zu erbitten, pochte an, aber wie ward ihm, als er in der ihm öffnenden Bäuerin die Fischerin aus Arnsberg erkannte. Auch sie erkannte ihn, er fragte, wie sie hierher gekommen sei und so erfuhr er denn, daß er seinem Bruder völlig Unrecht gethan habe, wenn er geglaubt hatte, derselbe habe ihm das Mädchen weggefischt. Dadurch ward aber seine Reue über seine Missethat nur noch viel heftiger. Er ritt, ohne ein Wort weiter zu verlieren, wieder nach Arnsberg zurück und das erste, was er that, war, daß er den verleumderischen Leibjäger zu demselben Tode verdammte, den sein armer Bruder so ungerechter Weise erduldet hatte. Dann aber machte er sich auf gen Cöln zum Erzbischof, um bei diesem Trost zu suchen. Dieser aber rieth dem bußfertigen Sünder ein Kloster zu bauen und darin als Mönch sein Leben in Gebet und Reue zu beschließen. Das that er auch. Nach Arnsberg zurückgekehrt, ließ er Bauleute aus allen Theilen Deutschlands kommen und baute auf seinem Stammgute[775] Weddinghausen, das seine Vorfahren gegründet hatten, einige tausend Schritte von seiner Burg ein stattliches Kloster und gönnte sich Tag und Nacht keine Ruhe, bis das majestätische Gebäude fertig war. Hierauf berief er die Mönche vom Orden des heil. Norbert hierher, räumte ihnen das neugebaute Kloster ein, übergab die Regierung seinem ältesten Sohne Gottfried, ward selbst Klosterbruder und verharrte hier bis zu seinem Ende in aufrichtiger Reue und Buße.

943

Romantisch behandelt von J. Krüger, Westphälische Volkssagen S. 1 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 774-776.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sagenbuch des Preußischen Staats
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band