837. Die weiße Jungfrau von Hemer.959

[783] Ein Mann aus Hemer kam einmal spät des Nachts von Hünklingsen herauf; er nahm seinen Weg durch die Eichenallee, wo jede Mitternacht eine weiße Jungfrau umgeht und seufzt. Die war nun gerade auch da. Der Mann wollte ihr ausweichen, es ging aber nicht; ging er rechts, ging sie auch da, drehte er sich aber nach links, stand sie auch da, zuletzt aber stellte sie sich vor ihn hin. Er faßte sich also ein Herz und fragte sie, was sie wolle. Da bat sie ihn um Gottes Willen, er solle sie doch erlösen. Er antwortete: Ja, wenn er es thun könne; sie müsse es ihm aber sagen, was hierzu nöthig sei. Da sagte sie: »Weiter nichts, als daß Ihr mich in der und der Nacht (die sie ihm nannte) dreimal um die Kirche tragt.«960 Wer aber sein Wort nicht hielt, das war der Mann aus Hemer. Als nun die Nacht kam, da war auch die Jungfer vor seinem Hause am Ebberge und klopfte an. Er stand auf und guckte durch's Fenster. Sie hielt ihm vor, daß er das, was er ihr gelobt, nicht gethan habe und bat ihn, er solle es doch noch thun. Er aber sagte: »Nein!« Da ging sie auf und davon und sprach: »Euere Frau soll vergehen wie ein Kohlstrunk und Ihr sollt auch nicht zu Gnaden kommen!« Seine Frau ist dann auch an der Abzehrung gestorben und er hat von Hemer fortgemußt und ist verunglückt.

959

S. Woeste S. 43.

960

Es ist ein alter Gebrauch in der Grafschaft Mark, die Leichen dreimal um die Kirche zu tragen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 783.
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