25. Die Schatzgräber im Isholz.

[28] (Nach Leibing S. 98.)


Vor Jahren hatte sich eine Anzahl entschlossener junger Bursche mit einander verschworen, im Isholze, wo, wie wir schon gehört haben, die Zwerge ihre Wohnsitze haben sollen, nach unterirdischen Schätzen zu suchen, man besorgte Alles, was man zu diesem Zwecke bedarf, und machte sich in einer günstigen Nacht dorthin auf den Weg. Ihre Beschwörungskünste hatten auch den Erfolg, daß sie nach einigem Graben in die Erde eindringen konnten und daß sie sich, wie es heißt, sieben Mann stark, bald tief unter der Oberfläche in langen dunklen Gängen befanden, die durch ein geweihtes Licht spärlich erhellt wurden. Endlich tappten sie sich in eine geräumige Höhle, deren Wände und Wölbungen den Strahl der heiligen Kerze, die sie mitgebracht hatten, seltsam widerspiegelten. In der Mitte derselben aber gewahrten sie auf einer großen Steinplatte, wie auf einem Bette hingestreckt, eine nackte Jungfrau, deren Brust und Arme reich mit goldenen Ketten und Ringen geschmückt waren und aus deren dunklem Gelock goldene Spangen und schimmerndes Edelgestein blitzte. Zu den Füßen dieses Frauenbildes aber stand Gold und Silber in großen Truhen in allen Arten von Münzen; da lagen aufgeschichtet große Gefäße, Schüsseln und Schilder von edlen Metallen, da glänzten Kronen mit wunderbaren Kleinodien geziert. Die Jungfrau winkte den Schatzgräbern auf das Holdseligste, bedeutete ihnen und erklärte, daß Jedem freistehe, mit beiden Händen einen Griff in die goldgefüllte Truhe zu thun, daß aber dafür Einer von den Sieben bei ihr in der Höhle bleiben müsse. Darauf blickte die Schöne unter den Schatzgräbern umher, als ob sie sich den aussuchen wolle, welcher bei ihr im Berge ausharren solle. Aber da war es alsbald mit ihrem Muth zu Ende. Wie hell nun auch das Gold den Burschen in's Auge funkelte, wie wunderbar der Glanz der Edelsteine in allen Farben spielte und die Herzen der habsüchtigen Burschen einnahm, so wurde doch Jeder von dem Gedanken ergriffen, daß er für immer in die düstere Höhle gebannt werden könne, indem die lockende Jungfrau doch vielleicht nur ein Unthier wäre, welche in[28] diesem Augenblicke zwar himmlisch milde lächele, ihn aber im nächsten schon als Drachen quäle, so daß er vielleicht dadurch dem bösen Feinde in die Arme renne und zeitlich und ewig verloren gehe. Jeder sah sich daher vorsichtig nach dem Ausgange der Höhle um und nahm seinen Vortheil wahr, um sich rasch davon zu machen. Da Keiner der Letzte sein wollte, so stürzten alle Sieben zugleich durch den engen Eingang nach oben. Sie rannten aneinander, purzelten, da das Licht erlosch, überschlugen sich in der Eile, kugelten über und über und kamen zuletzt Alle, wenn auch sehr zerkratzt und zerrauft, oben in der freien Luft an. Dort mochte sich aber Niemand Rast gönnen, Jeder lief vereinzelt in schrecklicher Angst seiner Wohnung zu und fühlte tausend Riesenfäuste aus dem Dunkel nach sich strecken. Jeder kam zu Hause in der festesten Ueberzeugung an, daß wenigstens einer, wenn nicht alle seine Genossen nun für immer im Berge begraben seien. Erst am folgenden Tage klärte sich der Irrthum auf, und jeder Geselle ward mißmuthig, daß er nicht an der Truhe keck zugegriffen, indem wohl die Wahl des Zauberweibes nicht auf ihn, sondern auf einen Kameraden gefallen sein würde. Jeder schalt sich wegen seiner Furcht und Zaghaftigkeit, obschon sich die Gesellschaft noch nicht wieder zu einer zweiten Fahrt einigen konnte.

So stehen denn die Schätze des Isholzes also noch fortwährend unter der Obhut der schönen Jungfrau, und so kann immer noch ein kühner Schatzgräber hier sein Glück in mehrfacher Hinsicht machen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 28-29.
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