29. Die Hose mit dem Heckthaler.

[31] (Nach Müller, Siegburg S. 18 etc. u. Leibing S. 57.)


In einem Dörfchen an der Sülz, einem Nebenflüßchen der Agger, lebte in der Nähe des sagenberühmten Lüderichberges ein armer Bauer, dem auch nicht das Mindeste in seinem Leben zum Glücke ausschlagen wollte. Er beklagte sich einmal bei einem seiner Jugendfreunde darüber, der auf dem andern Ufer des kleinen Waldstroms wohnte, welchem im Gegentheil jeder Versuch zum schönsten Glücke umschlug, so daß er ohne sonderliche Anstrengung ein bedeutender Grundbesitzer und ein reicher Mann geworden war. Nach manchen guten Ermahnungen, mit welchen der Arme sich nicht zufriedenstellen wollte, versprach doch zuletzt der Reiche ihm zu helfen und ihn binnen Kurzem zu einem vermögenden Manne zu machen. Daß diese Verheißung ihm schön in's[31] Ohr klang, läßt sich denken, ebenso daß sie die Zudringlichkeit des Bittstellers noch vermehrte. Nachdem der Reiche sich zuvor nach allen Seiten umgesehen hatte, ob sie nicht belauscht würden, holte er nach einigem Zögern aus seinem Schranke eine alte Hose hervor und überreichte sie dem Jugendfreunde mit dem Bemerken, daß er nun sein Glück begründet habe. Der Arme nahm die Beinkleider, besah sie von allen Seiten und schüttelte bedenklich den Kopf, als ob er zweifele, daß es bei seinem Freunde richtig im Oberstübchen sei. Der Reiche jedoch ließ sich nicht irre machen; er steckte einen Thaler in die Tasche des alten, längst aus der Mode gekommenen Kleidungsstücks und bat den Freund, am Morgen des folgenden Tages wieder in die Tasche zu fühlen und zu versuchen, ob sich der Thaler nicht über Nacht verdoppelt haben würde. »Das Verdoppeln«, sagte er, »geht so lange fort, als es die Tasche aushalten kann und Du hast weiter nichts dabei zu thun, als den Gewinn heraus zu nehmen, daß die Nähte nicht platzen. Ferner hast Du alle Sonntage das Fläschlein zu putzen, in welchem ein lebendiges Thierchen sich befindet, das, wie Du fühlst, in der andern Tasche dieser wunderbaren Beinkleider steckt.« Noch immer zweifelte der Arme an der Wahrheit des Berichts und glaubte, daß der Freund sich blos einen Spaß mit ihm erlaube. Da der Reiche aber seinen Ernst nicht ablegte und der Bittsteller das Fläschchen in der einen und den Thaler in der andern Tasche fühlte, dachte er, daß der Spaß doch kein so gar unfreundlicher sei, rollte die Beinkleider vorsichtig zusammen und verbarg sie hierauf unter seinen Kleidern, dann empfahl er sich seinem Freunde und begab sich in seine ärmliche Wohnung. Es war unterdessen spät geworden; er warf daher die Hosen auf einen Stuhl, entkleidete sich und schlief bis an den lichten Morgen. Als er sich ankleidete, fand er auf dem Stuhle die ihm geschenkte alte Hose. Neugierig griff er in die Tasche und überzeugte sich, daß der Thaler, den sein Freund hineingesteckt hatte, wirklich verdoppelt war und zwar jeder vollwichtig und scharf geprägt, als ob er eben aus der Münze käme. Gegen dieses Ergebniß ließ sich freilich nicht viel einwenden, indessen konnte doch der Freund einen Taschenspielerstreich an ihm gemacht haben. Sorgsam suchte er deshalb das Wunderkleid noch einmal durch, legte es zusammen und verschloß es in seinem Schranke, dessen Schlüssel er zu sich steckte. Den ganzen Tag über wurde nun der Arme bedeutend von Neugierde und Erwartung geplagt und ging, so oft er es unbemerkt thun konnte, an seinen Schrank, um sich zu vergewissern, daß er noch unerbrochen, daß das seltsame Geschenk noch unberührt eingeschlossen, die beiden Thaler noch in der Tasche befindlich seien. Die Beinkleider verschwanden nicht, die Thaler blieben wirklich, wo sie waren. Wie lange der Abend auch zögerte, er kam doch und nach ihm die Nacht, und als er in aller Frühe nachsah, hatte sich die Wunderkraft der Hose wieder bewährt und es fanden sich statt der zwei wirklich vier vollwichtige blankgemünzte Thaler vor. Jetzt war an keinen Betrug mehr zu denken. Der Arme war geborgen, er stand auf der Stufe des zuversichtlichsten Reichthums. Die Thaler wuchsen ihm nach, wie Pilze im Walde zu wachsen pflegen; er hätte sich jetzt in einem Rausche des Glückes wiegen müssen. Aber wie groß seine Freude im ersten Augenblick des Gelingens sein mochte, der Reichthum führte einen düstern Gefährten bei ihm ein, den er bis dahin nicht gekannt hatte. Wie nämlich der Zweifel[32] über die Wirksamkeit und geheime Kraft der Tasche beseitigt war, begann ein anderer in seinem Innern rege zu werden, ob nicht der Gebrauch der wunderbaren Hose seiner Seele schaden könne, und ob nicht das Geld, wie das seltsame Thierchen in dem Fläschlein Fallstricke des bösen Feindes verhüllten, die ihn trotz des Reichthums in den Höllenpfuhl herunterziehen würden. Diese Bedenken mehrten sich, wenn er die Flasche herauszog und gegen das Tageslicht hielt, wo er dann gewahrte, wie ein kleines Wesen, das einer Kröte nicht unähnlich war, nur einen etwas menschlichen Kopf hatte, in dem wohlverschlossenen Raume lustig umhergaukelte. Unter diesem Bedenken schwand der Tag und die Nacht. Früher hatte sie der Arme immer köstlich verschlafen, seitdem er aber auf dem Pfade des Reichthums wandelte, lernte er die Schlaflosigkeit und die tiefer nagende Sorge kennen. Mit dem neuen Morgen fand er den Inhalt der Tasche abermals verdoppelt und den Bestand bis zu dem Betrage von acht Thalern gestiegen. Jetzt überkam den angehenden Reichen eine Angst, die an Verzweiflung grenzte. Da er, wohin er immer blickte, keinen Rath fand, verfügte er sich zum Pfarrer, ihm unter dem Beichtsiegel seine seltsame Lage zu vertrauen. Er kam freilich hier, wie man zu sagen pflegt, aus dem Regen in die Traufe.

Der Pfarrer war gewissenhafter Natur; er stellte dem Armen vor, daß es geradezu dem Teufel in die Klauen rennen hieße, wenn er die gottverdammten Hosen länger behalte. Noch mehr geängstigt ging der Mann wieder nach Hause an seinen Schrank, beschaute das schöne prächtige Silbergeld, betrachtete dann aber auch das Thier im Fläschchen, welches lustig umhergaukelte, als ob es sich über das Verderben des Unglücklichen freue. Seufzend nahm er die jetzt schwerer gewordenen Beinkleider, wickelte sie zusammen, steckte sie unter seinen Rock und ging zu seinem Jugendfreunde über den Fluß. Er fand denselben daheim, konnte ihn unter vier Augen sprechen und bat ihn inständig, doch die Hosen zurückzunehmen, die statt sein Glück zu begründen, ihn unglücklich machten. Es half wenig, daß er nun eine feige Memme, ein Dummkopf gescholten ward, und weder Ermahnungen noch Spott wollten seine Angst beschwichtigen. Zuletzt eröffnete ihm der Freund, daß er die Hose, welche er einmal genommen habe, auch für immer behalten müsse, daß er sie schon aus dem Grunde nicht wiederbringen könne, weil sie ihm, wenn er sich entferne, aus freien Stücken nachgehen würden. Als der Geängstigte auf alle Gründe nicht eingehen wollte, der Anhänglichkeit der Beinkleider keinen Glauben beimaß, sich wirklich durch die Thüre in den Hof entfernte, sah er zu seinem nicht geringen Schrecken, daß das Kleidungsstück, welches er mißmuthig auf den Tisch seines Freundes geworfen hatte, ohne alle äußere Beihülfe ihm gefolgt war, schon an seiner Seite schwebte und ihn begleitete, wie ein treuer Hund seinen Herrn zu begleiten pflegt. Vernichtet blieb der Mann nun stehen, ließ sich von dem Andern die Hosen zusammenlegen, unter den Arm schieben und empfahl sich dann seufzend. Die Nacht über lag er wie im Fieber. Er glaubte sich schon den höllischen Mächten verfallen, sah aus jedem Winkel Teufelsfratzen nach ihm stieren und Riesenkrallen nach ihm greifen. Endlich dämmerte der Morgen. Der Geängstigte fand, als er das verzauberte Kleidungsstück untersuchte, daß sich die Zahl der Thaler abermals verdoppelt hatte. Er kannte sich in seiner[33] Seelenangst nicht mehr, lief wieder zum Pfarrer und bat diesen um Beistand. Er habe sich von den Hosen trennen wollen, allein das Kleidungsstück habe ihn nicht gelassen und sei ihm ohne Aufhören nachgefolgt. Der Pfarrer schien aber in Zaubersachen kein Neuling zu sein und ließ sich durch die ängstliche Schilderung nicht irre führen; er sprach ihm Muth ein und versicherte ihm, daß er noch mit wenig Zeilen zu retten sei, so lange er nichts von dem Zaubergelde ausgegeben habe. Hierauf schlug der Priester die Bibel auf, schrieb eine bezügliche Stelle derselben auf ein Blättchen Papier von der Größe einer Spielkarte, faltete dasselbe unter Gemurmel vorsichtig zusammen und empfahl dem Hülfesuchenden dieses Zettelchen, sobald er nach Hause komme, zu dem Fläschchen in der Tasche der verzauberten Hose zu stecken. Der Bauer eilte nun getröstet zu seiner Wohnung zurück und säumte nicht, den Versuch gleich zu machen. Es war Vormittags elf Uhr, als er die Hosen aus dem Schranke nahm und den Zettel sorgfältig in die bezeichnete Tasche schob. Und o Wunder! kaum war der Brief auf dem Grunde angelangt, als die Hosen in eine zitternde Bewegung geriethen und in all ihren Nähten laut erkrachten, dann sich vom Tische erhoben und durch die Stube schwebten. Jetzt bewegten sie sich gegen ein Fenster, das wie durch Zugwind auch aufgerissen wurde. Als das Beinkleid nun durch die Fenster stieg, faßte der Arme neuen Muth, schloß dieselben eiligst, rannte vor die Hausthüre und sah deutlich, wie die Hosen auf kürzestem Wege dem Orte zustrebten, von welchem er sie geholt hatte. Er sah wie ihre Beine, als ob unsichtbare Glieder in denselben steckten, sich gehend rasch durch die Luft bewegten, schon hoch über dem Waldstrome schwebten und nun hinter dessen Gebüsch verschwanden.

Wohin die bezauberten Hosen gewandert sind, ob zurück zu dem reichen Manne über der Sülz, ob sie von einem andern Alterthumsforscher aufgefangen wurden, oder eben noch zur Stunde vielleicht die Erde umkreisen, darüber ist nichts bekannt geworden.3

3

S. ähnliche Sagen in meinem Buche: Sage und Literatur. (Dresden 1850 in 4°) S. 47 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 31-34.
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