35. Der Schwanenritter zu Cleve.

[47] (Nach F.J. Kiefer: Die Sagen des Rheinlandes. Cöln 1845 in 12. S. 12. etc.)


Einst befand sich eine Gräfin von Cleve, die einzige Erbin ihres Vaters und des demselben gehörigen Landes Cleve, in großer Noth. Als alleinstehende Jungfrau war sie unfähig ihre Vasallen in Zaum und Zügel zu halten. Einer namentlich hatte sich vollständig empört, sich des Schlosses Cleve und ihrer selbst bemächtigt und wollte sie zwingen, durch ihre Hand ihre Freiheit zu erkaufen. Die Prinzessin wußte sich nicht zu helfen, sie lag den ganzen Tag auf ihren Knieen und bat zu Gott ihr einen Helfer und Retter zu senden. Da besann sie sich, daß sie an ihrem Rosenkranz ein kleines Silberglöcklein hängen hatte, welches die Kraft hatte, daß der leise Ton desselben in der Ferne, jedoch nur in bestimmter Richtung an Stärke gewann, und so geschah es, daß ein König in weiter Entfernung diesen Klang vernahm und seinen Sohn aufforderte, demselben nachzuziehen und der Verlassenen Hilfe zu bringen.

Siehe ehe er noch zur Abreise fertig war, erschien plötzlich ein Schwan auf den Wellen des Stromes, an einer goldenen Kette zog er einen Kahn nach sich und legte sich, als fordere er zu dessen Benutzung auf, an das Ufer, von wo der Königssohn verlangend in die Ferne schaute. Es schien ihm dies ein offenbarer Wink von oben, das Fahrzeug zu besteigen und sich der Führung dieses Götterboten zu überlassen. Er bestieg also die Barke und der Schwan fuhr mit ihm den Rhein hinauf.

Zu Cleve war unterdessen der Tag erschienen, wo der Usurpator des Thrones die Gräfin mit Gewalt zur Ehe zwingen wollte, und Letztere wollte eben unter Jammern und Weinen sich zu der gezwungenen Vermählung vorbereiten. Da sah sie auf einmal von den Fenstern ihres Schlosses einen Schwan den Fluß herauf einen Kahn ziehen, in welchem ein schlafender junger Ritter lag. Da erinnerte sie sich, es sei ihr von einer frommen Nonne prophezeit worden, es werde ein schlafender Jüngling sie aus großer Noth erretten. Darum eilte sie freudig dem jungen Ritter, der mittlerweile am Ufer gelandet und ins Schloß getreten war, entgegen und vernahm aus seinem Munde die frohe Kunde, er sei aus weiter Ferne gekommen um mit dem Räuber ihres Landes um ihre Hand zu kämpfen. Natürlich nahm sie das Anerbieten dankbar an und der Hof des Schlosses ward sofort zu einem[47] Kampfplatz hergerichtet. Zwar drang der böse Vasall mit aller Wuth auf den Helfer in der Noth ein, aber sei es daß derselbe gewandter als er war oder daß es Gott so wollte, er sank bald zum Tode von dessen Schwert getroffen zu Boden und die Gräfin reichte nach einiger Zeit dem Prinzen ihre Hand und er bestieg den Thron von Cleve. Vorher hatte er sich von ihr aber die feierliche Versicherung geben lassen, daß sie nicht fragen wolle, von wo er gekommen und wer seine Eltern seien. Sie hielt dies auch unverbrüchlich, bis endlich die drei Söhne, die aus ihrer Ehe entsprossen waren, ziemlich erwachsen waren. Da bat sie ihren Gatten, ihre Söhne nun nicht länger ohne väterlichen Namen zu lassen, ein Erbe, das ja der Geringste im Volke von seinem Vater erbe, er müsse dies thun, weil sie sonst wohl gar als Bastarde angesehen werden könnten.

Bei diesen Worten rief aber ihr Gemahl erschrocken aus: »Wehe, was hast Du gethan, unser Glück hast Du durch Deine Worte gestört. Von dieser Stunde an muß ich Dich verlassen, um nie wieder zurückzukehren!« Dann ließ er sein Silberhorn ertönen nach dem Gewässer hinaus und weithin schallte es durch die Nacht. Am andern Morgen kam aber der Schwan wieder mit dem Nachen den Rhein heraufgefahren und trotz aller Bitten der Seinen bestieg ihn der Vater und fuhr mit demselben denselben Weg hinab, den er gekommen war, und ward nie mehr gesehen. Die Gräfin aber starb vor Gram und ihre Söhne wurden Stammherrn edler Geschlechter, die alle bis auf den heutigen Tag den Schwan im Wappen führen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 47-48.
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