40. Der Graf von Windeck.

[52] (Poetisch behandelt von Montanus Bd. I. S. 310 etc.)


In dem Kreise Waldbrühl, unweit des Dorfes Rosbach in der Grafschaft Berg, hoch oben auf felsiger Höhe, das unten umspühlt wird von den Wellen der Sieg, gewahrt man noch heute die gewaltigen Trümmer des einstigen Grafenschlosses Windeck, das aber zuletzt zu einer einfachen Amtmannswohnung herabsank. Der letzte des alten Grafenstammes Windeck, der dies Schloß bewohnte, war Graf Conrad, der nachdem er längere Zeit bei dem vom h. Bernhard gepredigten Kreuzzug im gelobten Lande abwesend gewesen war, ruhig auf dem Schlosse seiner Ahnen seine Tage verlebte. Seine Gemahlin war ihm schon vor längerer Zeit gestorben und aus dieser Ehe nur eine einzige Tochter ihm geblieben, ein sehr schönes Mädchen, Bertha genannt, die er ebenbürtig zu verheirathen und dann seinem einstigen Schwiegersohn Schloß, Grafschaft und Namen zu verlassen gedachte. Da wurde er auf einmal durch den Einfluß seiner Schwester, der Aebtissin zu Rheindorf andern Sinnes, er beschloß seine Tochter dem Herrn zu weihen und sein Erbe, da er doch einmal keinen Stammhalter hatte, dem genannten Kloster zu vermachen. Bei diesem Plane hatte er jedoch nicht das Herz seiner Tochter mit in Anschlag gebracht, und dieses hatte schon anders verfügt; ein junger Ritter aus der Nachbarschaft, Heinrich von Waldenfels genannt, früher von dem Grafen sehr gern gesehen und in seiner Bewerbung um seine Tochter von ihm selbst scheinbar aufgemuntert, hatte sich heimlich mit ihr verlobt, als er aber vor den Vater hintrat und um die Hand der jungen[52] Gräfin bat, ward er schnöde abgewiesen und dem Mädchen angekündigt, daß sie in der allernächsten Zeit in das Kloster zu ihrer Tante müsse, um dort in der Einsamkeit ihre Liebe zu dem jungen Ritter vergessen zu lernen. Der Ritter aber wußte seiner Geliebten zuvor noch die Mittheilung zu machen, daß er in der nächsten Nacht kommen werde, um sie zu entführen und dem Kloster, vor dem sie sich so sehr scheute, zu entreißen.

So bestieg er denn, als die Sonne untergegangen war, sein Roß, allein sonderbarer Weise als dasselbe diesmal den oft schon gemachten Weg gehen sollte, schien es durchaus sich vor irgend einem unbekannten Etwas zu scheuen, es wollte durchaus nicht über die Brücke, welche das Ufer der Sieg, auf dem sein Schloß war, mit dem jenseitigen, wo das Schloß Windeck stand, verband. Mit Gewalt mußte er es hinüberziehen, drüben aber band er es am Fuße des Schloßbergs an und eilte dann hinauf in die Arme seiner Bertha. Dieselbe weigerte sich zwar anfangs scheinbar ihm zu folgen, allein zuletzt ließ sie sich überreden und folgte ihm ins Thal hinab, wo er sie auf sein Roß nahm und eilig den Rückweg antrat. Die Jungfrau aber konnte, trotzdem daß eigentlich keine Gefahr zu sehen war, ihre Angst nicht bemeistern und trieb ihren Geliebten fortwährend an, den Ritt zu beschleunigen. Dies that er auch, aber je näher sie der Sieg kamen, desto widerspenstiger zeigte sich das sonst so sanfte Roß und als sie jetzt hinter sich Pferdehufe hörten und nicht mehr zweifeln konnten, daß sie der alte Graf verfolgte, also die größte Eile nöthig war, wenn sie demselben entgehen wollten, da bäumte sich das Roß, als es an die Brücke kam, so gewaltig und ward so wild, daß der Ritter nicht wagte dieselbe zu überschreiten, sondern links ab in den Wald bog und durch Dickicht und über Abgründe weg mitten in den Wald hinein jagte, ob er so den Verfolgern entgehen könne. Allein gerade dieser ungebahnte Weg hinterließ den letztern auch die Spuren der Fliehenden, sie eilten hinter ihnen her und während ihre Pferde noch frisch waren, ermattete das Roß des Ritters von Waldenfels sichtlich. So war er auf eine Klippe gekommen, unter welcher die Sieg dahinbrauste, rückwärts und seitwärts konnte er nicht mehr, er hoffte also durch einen Sprung in die Tiefe sich noch zu retten und als die Verfolger schon in Sicht waren, spornte er den Rappen und flog mit ihm hinab in die Wogen. Als nun der Graf auf denselben Fels gekommen war, wo eben noch die zwei Brautleute sich befunden hatten und hinabsah in die Tiefe, und hoffte, das Roß und die zwei Reiter würden wieder auftauchen, da wartete er vergebens, erst am Mittag zogen seine Knechte am untern Uferrand zwei erstarrte Leichen ans Land. Der Graf aber zog traurig zurück in sein Schloß und starb am dritten Tage, und seine Dienstmannen trugen sein Schild und Helm vor den Thron des Kaisers Friedrich II., der sich damals gerade zu Aachen aufhielt (1174) und dieser verlieh die verwaisete Grafschaft als Lehn dem Grafen Engelbert I. von Berg. Noch heute aber soll Graf Conrad, ein bleiches silberlockiges Gespenst auf den Ruinen der Burg Windeck nächtlich herumschleichen und dann der Sieg entlang seine Kinder suchen, bis er endlich sich von jener Felsenkuppe in den Strudel hinabstürzt. Denn leider war jener Ritter von Waldenfels sein Sohn gewesen, den er mit dessen Mutter in Sünde gezeugt hatte. Zu spät hatte er dessen Verhältniß mit seiner Tochter bemerkt und sich scheuend, den Beiden die Wahrheit zu entdecken,[53] daß sie Geschwister wären, lieber es vorgezogen durch einen andern Vorwand, den der Frömmigkeit, sie zu trennen, was ihm freilich selbst im Tode nicht gelang.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 52-54.
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