42. Die Roßtrappe bei Overrath.

[56] (Nach Montanus Bd. I. S. 328 etc.)


In Maibach, einem Dörfchen oberhalb Overrath an der Agger lebte vor einigen hundert Jahren ein reicher Bauer, der zugleich Vogt und Schöffe im Dorf war. Derselbe war aber auf seinen Reichthum, der es ihm erlaubte, sich wie ein Junker zu tragen, sehr stolz, verachtete den Umgang mit Seinesgleichen und suchte die Gesellschaft der benachbarten Landjunker, die auch mit ihm umgingen, einmal weil er mit ihnen spielte und trank und viel Geld aufgehen ließ, dann aber auch weil sie ihn oft als Zielscheibe ihrer Spöttereien brauchen konnten, ohne daß er es zu bemerken schien. Um nun in seinem Dörfchen den großen Herrn zu spielen, ging er fast nie zu Fuß, sondern fast immer sah man ihn auf einem stattlichen Pferde geputzt wie ein feiner Stadtherr herumreiten, ob er gleich eigentlich nicht der beste Reiter war. Da begab es sich, daß einst in der Christnacht bei großer Kälte, aber hellem Vollmondschein der stolze Schöffe aus der Maibach die Agger entlang geritten kam um in Overrath die Christnacht feiern zu helfen, welche damals noch in allen katholischen Kirchen Nachts mit dem zwölften Glockenschlag eingelauten wurde. Zwar hatten ihm mehrere seiner Freunde gerathen, er möge den gefährlichen Weg auf der Berghalde, wo dieselbe sich oft steil nach der Agger herabsenke, doch lieber zu Fuß gehen, allein der eitle Vogt, der wie alle schlechten Reiter unvorsichtig war, verließ sich auf die Güte seines Pferdes und seine eigene Gewandheit und ließ sich nicht abhalten, den gefährlichen Weg zu reiten. Als er aber in der Nähe des Aggerhofes an die Stelle kam, wo der Fluß in einer weitausgreifenden Schlangenwindung[56] gegen den Berg stößt und diesen bis auf den nackten überhangenden Felsen unterspühlt hat, so daß man wenige Schritte von dem Fahrwege über den ihn begleitenden Fußpfad hinab in einen wohl hundert Fuß tiefen jähen Abgrund schaut, da glitt das Pferd gerade an der gefährlichsten Stelle aus, wurde vor seinem eigenen Schatten, der sich gegen den weißglänzenden Berg abspiegelte, scheu, setzte über den Fußpfad dem Fluße zu und stand jetzt mit den Hinterfüßen nur wenige Spannen von der Felsenwand, mit dem Vorderleibe aber schon über dem tiefen Abgrund. Da wandte sich der Reiter in der ärgsten Todesnoth mit herzlichem Gebet zu Gott, an den er bisher nur wenig gedacht hatte, und siehe, auf einmal war es, als wenn ein starker Arm das schon sinkende Roß vom Abgrunde zurückrisse und es den steilen Berg zulenke, wo der Reiter bald in vollständiger Sicherheit war. Die denselben Weg kommenden Fußgänger hatten aus der Ferne den Vorfall mit angesehen, jetzt sahen sie aber auch, wie der Reiter vom Pferde sprang, auf seine Kniee sank und inbrünstig betete. Von diesem Tage an aber ward der Vogt ein anderer Mann, all sein Stolz und Hochmuth war verschwunden und er war wieder das, was er längst hätte sein sollen, ein einfacher Bauersmann. Noch jetzt zeigt man ohngefähr eine Stunde Wegs von Overrath nicht blos jene gefährliche Stelle, sondern auch die Eindrücke der Hinterhufe des Pferdes, das über dem grausen Abgrunde geschwebt hatte, tief in den Felsen eingeprägt. Schon oft hat man diese Hufspuren mit Erde und Steinen ausgefüllt, aber jedesmal sind selbige am andern Morgen wieder entblößt und so frisch, als wären sie erst jetzt wieder eingetreten.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 56-57.
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