55. Der Löwenkampf am Rathhause zu Cölln.

[73] (Poetisch behandelt bei Ziehnert Bd. I. S. 64 etc.)


Dem Erzbischof Engelbert II., einem herrschsüchtigen und gewissenlosen Manne, war schon lange die Reichsfreiheit der Stadt Cölln ein Dorn im[73] Auge gewesen und sein ganzes Dichten und Trachten ging darauf hin, dieselbe zu vernichten und die Bürger seiner Herrschaft völlig zu unterwerfen. Da war ihm aber besonders der Bürgermeister Hans Grein im Wege, der die Gerechtsame der Bürgerschaft auf das Muthigste vertrat. Er glaubte also, er könne nicht eher seine Pläne durchsetzen, als bis er diesen Mann beseitigt hätte. Er lud denselben also eines Tages im J. 1262 zu sich zu einem Gastmahl ein, und obwohl den wackern Grein seine Freunde warnten, dieser Einladung zu folgen, so nahm derselbe sie dennoch an, weil er dem Erzbischof Hinterlist nicht zutraute. Als er also in den bischöflichen Palast getreten war, da kamen ihm zwei Domherrn entgegen und empfingen ihn aufs Freundlichste, baten ihn ihnen zu folgen, weil der Herr Erzbischof der Hitze wegen das Mahl im schattigen Garten unter kühlen Bäumen habe bereiten lassen. Sie führten ihn also durch das Erdgeschoß des Schlosses, öffneten eine Pforte und forderten ihn auf durch dieselbe einzutreten, dieselbe führe ihn in den Garten, wo er ihren Herrn finden werde, und als der Bürgermeister sie vor sich hineintreten lassen wollte, entschuldigten sie sich mit dem Respekt gegen ihn, dem der Vortritt vor ihnen gebühre. Kaum hatte er aber die Schwelle überschritten, so warfen sie die Pforte hinter ihm zu und er sah sich statt im Garten in dem von hohen Mauern rings herum eingeschlossenen Löwenzwinger des Erzbischofs. Aus dem Hintergrunde aber trat langsam zum Sprunge sich rüstend ein furchtbarer Löwe hervor, der mit gesträubter Mähne sich auf den verrathenen Greis stürzen wollte. Allein dieser, obwohl über den tückischen Verrath entsetzt, verlor doch den Muth nicht, sondern zog sein kurzes Schwert, das er freilich heute nur zur Zierde an der Seite zu tragen gemeint hatte, aus der Scheide und heftete seine Augen furchtlos auf das Thier um seinem Sprunge womöglich auszuweichen. Da sprang endlich der Löwe voll Mordlust in weitem Satze auf ihn ein und hauete die scharfe Tatze in seine Brust, allein gleichzeitig stieß er ihm auch das Schwert bis zum Hefte ins Herz. Da stürzte das Thier zu Boden und war in wenigen Minuten verendet. Der Bürgermeister aber sank auf die Kniee und dankte dem Herrn für seine wunderbare Rettung, die freilich auch nicht vollständig war, denn er war immer noch in den Händen des Erzbischofs. Allein dieser hielt ihn natürlich für todt, und so kam es, daß als Nachmittags die Bürger besorgt um ihren Vertreter vor das bischöfliche Schloß zogen, denselben heraus verlangten, aber natürlich keine Antwort erhielten und daher mit den Waffen in der Hand sich den Eingang erzwangen, sie den alten Grein obwohl verwundet, doch lebend antrafen und ihn im Triumph nach Hause führten. Kaiser Rudolph aber kam am nächsten Tage zufällig nach Cölln und ließ, nachdem ihm die Sache vorgetragen worden war, die beiden Domherrn (der Erzbischof log sich aller Mitschuld ledig) an einem Balken des Thors am Domkloster henken. Dieser Balken mit den beiden Löchern, durch welche die Stricke gegangen waren, war noch im Jahre 1499 zu sehen, und heute noch heißt das Thor das Pfaffenthor.7 Der Löwenkampf aber ist heute noch in Stein gehauen am Portale des (freilich[74] erst 1571 erbauten) Cöllner Rathhauses zu sehen und bringt so diese That pfäffischer Hinterlist auf die spätesten Nachkommen.8

7

Nach Wallraf, Ausgew. Schriften, Cölln 1861 S. 12, heißt die Pfaffenpforte eigentlich Paphenpforte von dem Tempel der Venus Paphia, der hier gestanden haben soll.

8

Dasselbe Bild befindet sich auch im Schlosse zu Blankenheim.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 73-75.
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