62. Die Krebse.

[81] (Nach Weyden S. 96 etc.)


Im Mittelalter war Cölln eine der bedeutendsten Handelsstädte in Deutschland, namentlich blühte das Tuchmacherhandwerk daselbst und viele Cöllner Kaufleute hatten ihre Schiffe auf der See gehen, wie die reichsten Handelsherrn in Flandern und den Städten der Hansa. Natürlich machten sie auch demgemäß vielen Aufwand, einer aber war unter ihnen, ein gewisser Dietbold, aus Antwerpen hierher gezogen, der sie alle an Reichthum und Schwelgerei übertraf. Doch gerade dieser verdankte seine Schätze nicht blos dem Handel, sehr vieles Geld erwarb er sich durch Wucher und an seinem Reichthum klebten viele Thränen, wie das Volk sich erzählte, sogar Blut, denn um Geld zu erwerben, war ihm jedes Mittel gerecht. Da begab es sich, daß er das Hochzeitfest seiner einzigen Tochter ausrichtete und dies that er mit einem solchen Prunk, daß die Gäste sich nicht besinnen konnten, je in Cölln etwas Aehnliches gesehn zu haben. Das Gastmahl bestand aus den feinsten und kostbarsten Gerichten, die er aus allen Theilen der Erde mit ungeheueren Kosten hatte zusammenbringen lassen. Schon nahte sich dasselbe zu Ende, da öffnete sich die Thüre des Saales und unter die Lustigen trat ein finsterer Mönch in schwarzer Kutte eines Karthäusers, schritt auf den Hausherrn zu und sprach mit dumpfer Stimme: »memento mori (gedenke daß du sterben mußt)«. Kalter Schauer überlief die über diesen Eindringling erschreckten Gäste, der Bräutigam aber, der die Erscheinung für einen schlecht gewählten Scherz hielt, reichte ihm einen Becher und forderte ihn auf mit ihm zu trinken. Dies that er auch indem er seinen Spruch wiederholte, als aber dadurch der Brautvater Muth faßte und mit ihm wirklich anstoßen wollte, da wies er ihn mit den schrecklichen Worten zurück: »Ich kann mit Dir nicht trinken, Dein Becher ist mit Blut gefüllt!« Als aber jener vor Schreck über diese Worte den Becher fallen ließ, da sahen die entsetzten Gäste, wie rothes Blut aus demselben über das weiße Tischtuch[81] hinab auf den Boden floß und der Mönch ihm gleichzeitig drohend zurief, er werde bald ärmer sein als der ärmste Bettler in Cölln, denn das Maaß seiner Sünde sei voll. Da ergriff den Kaufherrn fürchterliche Wuth, er rief laut aus: »Eher kriechen die gesottenen Krebse dort aus der Schüssel, ehe meine Habe zu Grunde geht!« und er hieß seine Diener den Frechen hinauswerfen; ehe dieselben sich aber noch an ihm vergreifen konnten, da erschütterte ein Donnerschlag das Haus in seinen Grundmauern, Blitze fuhren durch die Fenster, die rothgesottnen Krebse krochen aus den Schüsseln, auf denen sie aufgetragen waren, über den Tisch und der Mönch, auf den der Kaufherr mit gezücktem Schwerte losstürzte, verschwand in der Erde. Auf einmal aber kamen Flammen aus allen Ecken des Saales heraus, Brautpaar und Gäste hatten genug zu thun ihr Leben zu retten, Alles, das Haus und die gefüllten Speicher waren mit Tagesanbruch von der Feuersbrunst verzehrt und nichts mehr von dem Kaufherrn und seinen Schätzen übrig.

So vergingen eine Reihe von Jahren, die Brandstätte in der Brückenstraße blieb unaufgebaut, denn es war Niemand da, der sie beansprucht hätte. Die Tochter des Kaufherrn war wenige Tage nach jenem Schreckenstage gestorben, ihren Vater glaubte man von den Trümmern des eingestürzten Hauses erschlagen und andere Erben hatten sich nicht eingefunden, überhaupt war auch nichts zu erben, denn kurz nach dem vermeinten Tode Dietbolds hatten unvorhergesehene Unglücksfälle schnell hintereinander all sein Eigenthum verzehrt. Da kam eines Abends ein alter Mann zu dem in der Kirche zu St. Columban im Beichtstuhle sitzenden Priester und bat ihn, ihm zu folgen und einem Sterbenden die letzte Wegzehrung zu geben. Derselbe machte sich auf den Weg und folgte seinem Führer bis in eine am Ende der Stadt liegende ärmliche Hütte, wo er auf elendem Lager einen Sterbenden antraf. Dieser gestand ihm nun, daß er der todtgeglaubte Dietbold sei, er beichtete ihm alle seine Sünden und theilte ihm mit, daß er durch seinen treuen alten Diener aus den Flammen gerettet und hier in diese Hütte geschafft worden sei, mit ihm zusammen habe er späterhin oft des Nachts die Brandstelle besucht und daselbst aus dem Schutte noch ziemlich viel von seiner Habe, namentlich Kostbarkeiten gerettet, diese möge jetzt der Priester aus seinen Händen in Empfang nehmen und den größten Theil unter diejenigen vertheilen, die er in seinem Leben betrogen habe, zu welchem Zwecke er ihm ein Verzeichniß von Namen einhändigte, für den Rest aber solle er Messen für sein Seelenheil lesen. Nachdem ihm der Priester feierlich versprochen seinen Willen zu thun, starb er reumüthig und sein alter Diener trat in das Kloster, dem der Priester angehörte. An der Stelle der nunmehr aufgeräumten Brandruinen aber ward ein neues stattliches Gebäude errichtet und über der Thüre desselben das Standbild eines Greises angebracht, der zur Erinnerung an das Schicksal Dietbolds in der Rechten einen großen Krebs hielt. Dieses Denkmal befand sich bis zum Jahr 1817 in einer Spitzbogennische des ehemaligen Nesselroder Hofes (jetzt die Häuser Nro. 8 und 10) auf der Brückenstraße, da aber kam es weg, weil es ganz verwittert war, und befindet sich jetzt in dem sogenannten Wallraffianum.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 81-82.
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