64. Die Gereonskiste zu Cölln.

[84] (Nach Weyden S. 87 aus Caesar Heisterb. Dial. II. 23.)


Es giebt ein Sprichwort zu Cölln von den alten Jungfern oder den dort sogenannten Quiselen (aus dem lateinischen quae sola d.h. welche allein [steht]), man sagte nämlich, wer von ihnen sitzen geblieben sei und keinen Mann bekommen habe, komme in die Gereonskiste. Denselben Scherznamen hat man deshalb auch dem Convent zur h. Magdalene für alte Jungfrauen, der nahe bei der Kirche des h. Gereon sich befindet, gegeben. Der Ursprung dieses Sprichworts wird aber folgender Maßen erklärt.

Einst wohnte in der Nähe der Kirche des h. Gereon ein arger Wucherer, dem es nicht darauf ankam, ob ganze Familien ins Unglück kamen und[84] geistig und leiblich zu Grunde gingen, wenn er nur an ihnen Geld verdienen konnte. Darum ward er auch schnell reich, aber so gesucht er auch in der Stadt war, so verhaßt war er auch. Indeß kam doch mit den Jahren bei ihm auch die Zeit, wo das Gewissen erwachte. Er konnte nicht mehr schlafen und wenn er des Nachts so allein auf seinem weichen Pfühl lag, da überkamen ihn wunderliche Gedanken von Gottes Gerechtigkeit und einer einstigen Vergeltung. Da sah er blasse Gestalten von Selbstmördern vor seinen Augen vorbeiziehen, denen seine Hartherzigkeit den Dolch in die Hand gegeben hatte, da erblickte er weinende Frauen und Kinder, deren Ernährer er in den Kerker gebracht hatte, wenn sie nur einen Tag mit der Zahlung außengeblieben waren. Er fragte manchen Heilkünstler der Stadt um Rath und bot ihm vieles Geld, wenn er ihm Schlaf bringen könne, allein alle ihre Tränke halfen nichts, er schlief wohl, aber die Bilder, die er vorher mit wachem Auge gesehen hatte, die kamen ihm jetzt im Traume vor, und wenn er früh erwachte, fühlte er sich nicht durch den Schlaf gestärkt, sondern mehr ermattet und geschwächt als am Abend, wo er sich niedergelegt hatte. Da dachte er ans Beten, aber wie er auch die Hände faltete, er konnte sich auf die Gebete, die er als Kind von seinen Eltern gelehrt bekommen hatte, nicht mehr besinnen und er glaubte eines Nachts sogar eine furchtbare Stimme zu hören, die ihm zurief, daß all sein Beten ihm nichts helfen werde, denn er sei verdammt. Das setzte ihn so in Schrecken, daß er in Ohnmacht sank und früh von seinen Leuten auf der Diele außerhalb des Bettes gefunden ward. Da begehrte er ängstlich einen Priester, dem er sein Herz ausschütten und beichten könne. Es kam auch einer, hörte seine Geständnisse und machte ihm Hoffnung, daß wenn er ernstlich bereue und Buße thue, auch zurückerstatte, was er auf unerlaubte Weise gewonnen habe, er ihn vielleicht noch von seinen Sünden lossprechen könne, gleich natürlich könne er es nicht thun, denn allzu groß sei seine Sündenlast. Alles versprach und gelobte er, allein als er kaum fühlte, daß er besser ward, da hatte er auch wieder alles vergessen, was er versprochen hatte und schritt, trotzdem daß abermals ihn ein fürchterliches Traumgesicht schreckte und warnte, auf der längst betretenen Bahn der Sünde fort.

Eines Morgens erwachend fuhr er mit einem lauten Schrei des Entsetzens von seinem Lager empor, denn plötzlich wimmelte Alles um ihn herum von Kröten, Schlangen und anderem scheußlichen Gewürm. Umsonst war sein Diener beflissen, das Haus zu reinigen, umsonst floh er aus einem Zimmer ins andere, von Geschoß zu Geschoß, sowie sein Fuß die Schwelle eines Gemachs betrat, krochen aus allen Ecken, Spalten und Ritzen Schlangen, Unken und Kröten hervor. Ja selbst aus dem Teller, aus welchem er aß, schienen ihn solche Thiere anzuglotzen, und setzte er einen Becher an die Lippen, so ringelten sich Nattern um denselben herum und schienen mittrinken zu wollen.

Jetzt kam die wahre Reue, aber es war zu spät, er spendete reichlich den Armen, er machte Schenkungen an Kirchen und Klöster, nichts half es, ja selbst das Brod, welches er für die Armen backen ließ, verwandelte sich in Kröten und Schlangen. Alle, die früher an seiner Tafel geschwelgt, drehten ihm jetzt den Rücken zu, und selbst mit dem reichsten Lohn konnte er keinen Diener bewegen bei ihm zu bleiben. Als er sich zuletzt den Verfolgungen[85] der scheußlichen Thiere nicht mehr erwehren konnte, sondern, wo er ging und stand, Kröten und Schlangen aus seinen Kleidern herauskrochen, da ließ er sich eine große, wohl verschließbare Kiste machen und dieselbe an die Decke eines seiner Zimmer hängen, dieselbe reichlich mit Lebensmitteln versorgen und legte sich dann hinein, um hier Ruhe und Sicherheit zu finden. Als aber der Priester, dem er einst sein Sündenbekenntniß abgelegt hatte, ihn nach einigen Wochen wieder besuchte, fand er den Unglücklichen in seiner Kiste, ein abscheuliches Gerippe, ganz verzehrt von Kröten und Schlangen, die sich in eckelm Gemisch durcheinander bewegten. Man schritt eiligst zu seiner Beerdigung, allein die Glocken der Kirche des h. Gereon erklangen nicht, als man zu seinem Begräbniß läuten wollte, und umsonst war jedes Bemühen, die Kerzen auf dem Hochaltar anzuzünden, um das Todtenamt zu feiern. Da hielt man dies für einen Fingerzeig Gottes und verscharrte die Kiste mit den Resten des Wucherers neben der Vorhalle der St. Gereonskirche an einem sumpfigen Orte, der bis dahin der Aufenthaltsort unzähliger Kröten gewesen war. Diese verschwanden aber sofort, nachdem die Gebeine des Büßers hier eingegraben worden waren, und seit dieser Zeit hat man hier nie wieder eine Kröte gefunden.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 84-86.
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