71. Das Bachkalb oder Baahkauf zu Aachen.

[91] (Nach A.F. Flecken, Einige Aachener Volkssagen S. 46 etc. S.a. Müller S. 137.)


Wenn sonst Gesellschaften in Aachen bis in die späte Nacht beisammen waren, so pflegten sie sich beim Auseinandergehen scherzhaft zu warnen: »Nämt üch en Aht, dat üch et Baahkauf net krit (hütet Euch, daß Euch das Bachkalb nicht erwischt)« und die Antwort pflegte dann meist ein Gelächter oder ein Ausdruck zu sein, wie: »Die Aue haue Knöp feil (die alten Voreltern hatten immer etwas im Hintergrunde)« oder: »Vür sölle et wahl afschödde (wir werden es wohl abschütteln).«[91]

Das Baa- oder Bachkauf (Bachkalb) ist ein nächtliches thierartiges Gespenst, welches zu Aachen von Punkt eilf Uhr in den verschiedensten verrufenen Gassen z.B. der Fehlergasse, Hinzegasse, Rheigasse etc. sein Wesen treibt und denen, die sich in jenen Gassen Nachts herumtreiben, plötzlich auf den Rücken springt und ihnen aufhockt. Es macht sich furchtbar schwer und drückt den damit Beladenen die Kehle zu, zuletzt wirft es sie durch seine Schwere zu Boden. Eine eigentliche Beschreibung konnte jedoch Keiner von diesem Ungethüm geben, es hatte die Gestalt eines ungewöhnlich großen Kalbes, war aber dabei ganz zottig. Der Kopf war breit und dick, das sich weit öffnende Maul zeigte große, scharfe Zähne, die Augen waren glotzig und leuchteten im Dunkeln wie Feuerkugeln, die Klauen glichen fast Bärentatzen mit scharfen Nägeln, der Schweif aber war mit Schuppen besetzt und schleppte lang über der Erde nach. An Hals und Beinen hatte es Ketten, die gar gewaltig rasselten, wenn es in stiller Nacht über die Straße lief. Sein Hauptaufenthalt war im sogenannten Kolbert, einer Art Halle, durch welche ein heißer Bach, der Abfluß der Bäder fließt und wo in früherer Zeit obdachlose Arme, auch Nachtschwärmer ein Obdach suchten. Es hielt sich aber auch unter den Bänken des Fischmarkts auf. Seine Hauptangriffe waren auf Trunkenbolde und alte und junge Nachtschwärmer gerichtet. Es trieb die, welchen es aufsaß, durch die kothigsten Gassen, warf sich auch zuweilen mit ihnen in den Schlamm und wälzte sich dort mit ihnen herum, sonst ließ es sich von ihnen bis zu eines jedweden Behausung tragen, dann sprang es herab und wo möglich gleich wieder einem andern Vorbeigehenden auf den Rücken. Fluchte der, welchem es aufhockte, so machte es sich leichter, betete er aber, so ward es immer schwerer, ging der Weg aber an einer Kirche vorüber, dann sprang es gewöhnlich herab. Einmal kam ein Mann spät Abends aus einem Weinhause; er mußte über den Fischmarkt, doch ehe er noch an dem Kornhause war, hörte er schon das Bachkalb unter den dortigen Fischbänken an der Taufkapelle furchtbar brüllen und sah dann, es war heller Mondenschein, dasselbe sich schwerfällig erheben und auf sich losschleichen. Er eilte längs den Häusern hin, um auf die Rennbahn zu kommen, wo er wohnte. Es gelang ihm auch sein Haus zu erreichen, allein da stand auch das Bachkalb vor ihm. Mit den Füßen schlug er an die Hausthüre, denn er wagte nicht sich umzukehren und rief: »Bäbche, Bäbche, leifste Kenk! Oem alle dousend Goddes Well, dög op op, et Baahkauf (Bäbchen, liebstes Kind, um Alle tausend Gottes Willen thue die Thüre auf, das Bachkalb ist da!)« Seine Frau sah zum Fenster heraus, eilte so schnell wie möglich herab und siehe da, als sie öffnete, stürzte ihr Mann zur Thüre herein. Sie hatte Mühe ihn herauf zu schleppen, denn er war ganz außer sich und in Schweiß gebadet. Er legte sich hin und ward krank, in vierzehn Tagen aber begrub man ihn. Seitdem jedoch der Kolbert überwölbt ist und darüber in der neuesten Zeit Häuser erbaut sind, läßt sich das Ungethüm nicht mehr sehen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 91-92.
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