86. Der Zauberstiefel.

[104] (Poetisch behandelt von Laven S. 109.)


In der ersten Hälfte des 7. Jhdts. ward zu Pfalzel ein Nonnenkloster gegründet, welches jedoch nur für Edelfräulein bestimmt war und dessen Bewohnerinnen sich zwar durch kunstreiche Handarbeiten auszeichneten, aber nicht immer die beste Zucht zu halten pflegten. Namentlich war zur Zeit des Bischofs Poppo eine Nonne daselbst durch ihre Nadelarbeit berühmt und so geschah es, daß der Bischof sie eines Tages bat, ihm aus einem mit Pelz besetzten kostbaren seidenen Mantel ein Paar Stiefelchen anzufertigen, wie er sie zu einem Ornate beim Celebriren des Hochamtes bedurfte. Er erhielt dieselben auch richtig fertig gearbeitet, als er sie aber am Ostersonntag anlegte, da durchdrang im Augenblick seine Glieder ein fieberhaftes Gefühl, eine dämonische Liebesgluth, so daß er sich nicht eher fassen konnte, als bis er sie schnell wieder ausgezogen hatte. Er hatte gerade viele Gäste bei sich und forderte sie alle auf, einer nach dem andern denselben Versuch zu machen, aber wunderbar alle fühlten dieselben Begierden. Darum ward die Nonne einstimmig für eine böse Zauberin erklärt, das Kloster aufgelöst (1026) und die übrigen Nonnen in andere Klöster vertheilt.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 104.
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