117. Die schöne Agnes von Staleck und der Pfalzgrafenstein.

[134] (S. Schreiber in den Ruinen [Wien 1834] Bd. III. S. 148 etc. und in s. Sagen aus den Rheingegenden [Frkft. a.M. 1848, 3te Aufl.] S. 217 etc. cf. Kaufmann, Quellen S. 95 etc.)


Auf dem Hügel, an welchen sich das weinreiche Bacharach lehnt, stehn heute noch die Trümmer der festen Burg Staleck. Sie war im 12. Jhdt. das Eigenthum des Pfalzgrafen Conrad aus dem Hause der Hohenstaufen, der eine einzige, aber wegen ihrer Schönheit weit und breit berühmte Tochter, Namens Agnes, besaß. Nun war der Ruf von ihr auch zu den Ohren des tapfern Heinrich Welf von Braunschweig gedrungen, der bald vor Verlangen brannte, diese schöne Jungfrau kennen zu lernen. Es bestand aber damals eine grimmige Feindschaft zwischen den Welfen und Hohenstaufen und Kaiser Friedrich der Rothbart hatte jenen den Untergang geschworen, es konnte also keine Rede davon sein, daß Heinrich unter seinem wahren Namen nach Staleck ging, er mußte sich auf anderem Wege den Eingang zu verschaffen suchen. Er machte sich also auch wirklich dahin mit seinem Lehnsmann, Hans von Gleichen, auf die Reise und als sie noch eine Tagereise weit vom Rhein entfernt waren, da legten sie andere Kleider an und gaben sich für Pilger aus, die nach Cölln wollten. Sie baten als solche auf Staleck um ein Nachtlager und wurden von dem Burgherrn freundlich aufgenommen. Bei der Tafel sah Heinrich die junge Pfalzgräfin und fand, daß der Ruf ihrer Schönheit noch hinter der Wahrheit zurück sei; man fragte, wo die Pilgrime her seien, und als sie gesagt, daß sie von Braunschweig kämen, da erkundigten sich die Frauen nach ihrem Herrn, dem Herzog Heinrich, und fragten, ob es wahr sei, daß er wirklich ein so kühner, unternehmender Ritter sei, wie sich das Volk erzähle. Die angeblichen Pilgrime versetzten, sie seien zwar Lehnsmänner des Herzogs, allein sie könnten mit gutem Gewissen alles das Rühmliche bestätigen, was man sich von ihm erzähle. Sie verließen nun in der Frühe das Schloß und fuhren in einem Schiffe, welches ihnen der Pfalzgraf gestellt hatte, nach Cölln. Auf die junge Pfalzgräfin[134] hatte aber der eine der Pilgrime, Heinrich, einen derartigen Eindruck gemacht, daß sie es nicht erwarten konnte, bis derselbe von seiner angeblichen Betfahrt wieder zurückkehrte, und als sie wirklich nach einigen Tagen wiederkamen, da gestand sie ihrer Mutter, daß sie eine innige Leidenschaft für den einen der Ritter fühle, und diese, welche ihre Tochter abgöttisch liebte, versprach ihr auch, wenigstens nach dem wirklichen Namen des Ritters zu forschen, um zu erfahren, ob eine Verbindung zwischen ihrer Tochter und demselben möglich sei. Dies that sie auch, und Heinrich gestand ihr offen, wer er sei und weshalb er verkappt in ihr Haus gekommen. Die Pfalzgräfin versprach ihm auch, die Sache ihrem Gatten vorzutragen, hieß ihn aber einstweilen seine Rückreise antreten, sie wolle dann sehen, was sich machen lasse und ihm Botschaft nachsenden, da ohnehin der Pfalzgraf augenblicklich nicht auf der Burg war. Derselbe hatte jedoch bereits unterwegs erfahren, wer die zwei Pilgrime gewesen, und als daher seine Gattin bei seiner Rückkehr die Rede auf den jungen Welfen brachte, gab er zwar eine ausweichende, aber nicht gerade abweisende Antwort. Sie glaubte daher nichts Besseres thun zu können, als wenn sie den Braunschweiger auffordere, selbst nach Staleck zu kommen und um ihre Tochter zu werben. Mittlerweile sah sie eines Tages, als sie früh Morgens aus dem Fenster schauete, wie auf dem breiten Felsen, der nahe am rechten Rheinufer etwas abwärts von Staleck mitten aus dem Strom hervorragt und bis dahin eine ärmliche Fischerhütte trug, statt derselben Mauerwerk emporstieg und viele Arbeiter beschäftigt waren, dort ein Gebäude zu errichten. Auf ihre Frage, was dort gemacht werden solle, erhielt sie von ihrem Gemahl die Antwort, er wolle dort einen Zollthurm errichten. Indeß sah sie sehr bald, was der eigentliche Zweck des geheimnißvollen Bauwerks war, denn eines schönen Tages war ihre Tochter verschwunden und sie mußte hören, daß dieselbe mit einer Magd und einem Diener auf Befehl ihres Gemahls in jenen Thurm gebracht worden sei. Sie stellte sich äußerlich demselben gegenüber höchst betreten und legte sogar Trauerkleider an, im Geheimen aber sendete sie einen verschlagenen Diener dem Braunschweiger, der auf dem Wege nach Staleck sein mußte, mit einem Briefe entgegen und ihrer Tochter auf dem Thurme wußte sie vermittelst einer Brieftaube, welche sie sich verschaffte, ebenfalls Nachricht zukommen zu lassen. So vergingen mehrere Wochen, da kam der Vorabend des Tages, wo die junge Agnes ihr siebenzehntes Jahr antrat, und die Pfalzgräfin benutzte diese Gelegenheit, um das Herz ihres Gemahls zu rühren, sie bat ihn so lange, der Jungfrau zu verzeihen, bis er endlich sein Wort gab, ihr zu verzeihen, ja ihr sogar versprach, selbige am nächsten Tage aus dem Thurme zurückkommen zu lassen, von einer Verbindung seiner Tochter aber mit einem Welfen wollte er durchaus nichts wissen. Da gestand ihm seine Gemahlin, ihre Tochter sei bereits die Gemahlin Heinrich's von Braunschweig, und als der Pfalzgraf vor Ingrimm so rathlos dastand und durchaus nicht begriff, wie dies möglich sei, da offenbarte sie ihm, was sie gethan habe, um das Paar zusammenzubringen, wie der junge Heinrich des Nachts nach dem Thurme geschwommen sei und bereits mehrere Tage bei ihrer Tochter verweile. Da vermaß sich der zornige Pfalzgraf hoch und theuer, er wolle weder seine Tochter noch ihren Gemahl eher sehen, als bis sie ihm einen Enkel bringen würden, der in[135] dem Thurme geboren sei, und die junge Frau mußte wirklich nebst ihrem Gatten bis zu ihrer Niederkunft in dem einsamen Thurme verweilen, dann aber nahm er beide wieder zu Gnaden an und seit dieser Zeit ist die Sitte aufgekommen, daß die rheinischen Pfalzgräfinnen in der Pfalz bei Kaub jedesmal ihre Niederkunft halten mußten.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 134-136.
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