118. Die Sage von Rolandseck.

[136] (S. die Ruinen [Wien, 1834] Bd. V. S. 133 etc.)


Dort wo sich am Fuße des Siebengebirges der Rhein in zwei Arme theilt und den sogenannten Rolandswerder umschlingt, blicken von einem Felsen des linken Ufers die Ruinen der von Kaiser Heinrich V. zerstörten Burg Rolandseck düster in die vorüberrollenden Fluthen. Die Ueberreste des schwarzen Gemäuers mit einem noch erhaltenen gewölbten Bogen sind auf der Flußseite von allem belebenden Buschwerke entblößt, die übrigen Stellen aber mit Epheu und Gesträuch üppig bedeckt. Diese Burg soll Roland, Graf von Angers, Neffe Karl's des Großen von dessen Schwester Bertha, die den Grafen Milo geheirathet hatte, aber von demselben wegen Verdachts des Ehebruchs verstoßen worden war und das Kind in einsamem Walde wie einst die h. Genoveva geboren hatte, erbaut haben, um dem Mädchen seiner Liebe, welche in dem Kloster auf darunter liegender Aue den Schleier genommen hatte, nahe zu sein.21

Einst streifte er von Ingelheim am Rhein die Ufer des schönen Stromes hinab, um die schönen Gegenden im Frühlingsschmuck zu sehen. So kam er auch eines Abends auf die Burg Drachenfels, wo er um ein Nachtlager bat und mit treuherziger Gastfreundschaft aufgenommen wurde. Der Burgherr schüttelte ihm die Hand wie einem alten Bekannten, und sein schönes Töchterlein, Hildegunde genannt, kredenzte ihm den Willkommen aus goldenem Becher. Als sie ihm aber den Pokal darreichte, da ergriff es ihn gar sonderbar und er wußte selbst nicht, wie ihm geschah; als er aber am andern Tage die Jungfrau im Garten traf und mit ihr längere Zeit allein war und ihr seine Gefühle mittheilen konnte, da sah er wohl, daß die Liebe ihn hierher geführt hatte, und als auch das Mädchen gestand, daß er ihr nicht gleichgültig sei, da gelobten sie sich ewige Treue, und Roland, der ihr seinen Rang und Stand offenbart hatte, versprach gleich nach dem bevorstehenden Feldzuge wider die Ungläubigen an den Rhein zurückzukehren und sie als seine Hausfrau heimzuführen. Die Jungfrau lebte von Stund an in gänzlicher Zurückgezogenheit und harrte täglich auf Nachricht von dem Geliebten. Bald kam Kunde von neuem Ruhm, den er sich erworben, und die Schiffer, die auf dem Rhein fuhren, sangen seine Waffenthaten. Ein Jahr war bald verflossen, da kam eines Abends ein fremder Ritter auf das Schloß und bat um Herberge. Er hatte in Kaiser Karl's Heer gedient und Hildegunde erkundigte sich nicht ohne bange Ahnung nach Roland. »Er fiel neben mir«, versetzte der Ritter, »bedeckt mit Ruhm und mit Wunden.« Die Jungfrau konnte kein Wort hervorbringen und hatte auch keine Thränen.[136] In stummem Schmerz saß sie da wie ein Marmorbild auf einem Grabmal. Nach acht Tagen bat sie ihren Vater, den Schleier nehmen zu dürfen und ging in das Kloster auf dem Frauenwörth. Der Bischof, in dessen Sprengel das Kloster gehörte, war ein Verwandter ihres Hauses und gestattete ihr, das Prüfungsjahr abzukürzen und nach drei Monaten schon das Gelübde abzulegen. Einige Zeit nachher kam aber Roland auf die Burg ihres Vaters, um sie als Braut heimzuführen. Er war für todt auf der Wahlstatt liegen geblieben, aber doch wieder zu sich gekommen und durch sorgsame Pflege seiner Wunden genesen.

Als er hörte, was vorgefallen, warf er seine Waffen von sich und ließ eine Klause auf dem Felsen bauen, der seitdem Rolandseck heißt und an dessen Fuß der Frauenwörth im Rhein liegt. Da saß er nun Tage lang vor der Thür seiner Einsiedelei und sah hinab auf das Kloster, in welchem seine Geliebte wohnte. Früh, wenn die Glocke zur Mette rief, stand er auf von seinem Lager und ging hinaus, den Chorgesang der Jungfrauen zu hören und oft wähnte er, Hildegunden's Stimme unterscheiden zu können. Spät in der Nacht, wenn er noch ein einsames Licht in einer Zelle schimmern sah, glaubte er, es sei Hildegunde, die für ihn bete. Zwei Jahre gingen so vorüber und der Gram hatte bereits die beste Kraft seines Lebens aufgezehrt. An einem trüben Herbstmorgen schaute er herab auf das Kloster, wie gewöhnlich, und sah auf dem Kirchhofe ein Grab aufwerfen und es kam ihm vor, als ob eine Stimme neben ihm flüsterte: »Es ist für Hildegunden!« Er schickte einen Boten in das Kloster und erfuhr, daß sie vollendet habe. Er sah sie einsenken in die kühle Ruhestatt und hörte das schauerliche Requiem singen, den letzten Abschied der Lebenden von den Todten. Der Schmerz überwältigte in kurzer Zeit seine noch übrige Lebenskraft, man fand ihn vor seiner Klause sitzen, starr und todt und die Augen nach dem Kloster gewendet.

21

Dies ist der von Schiller in seiner Ballade »der Ritter von Toggenburg« bearbeitete Stoff.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 136-137.
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