130. Die Braut vom Rheinstein.

[148] (Nach Geib S. 538 etc.)


Assmannshausen gegenüber, am linken Ufer des Rheins, thront auf hohem Felsen die Burg Rheinstein, im Jahre 1822 für den Prinzen Friedrich von Preußen im mittelalterlichen Style wieder aufgebaut und jetzt eine Zierde jener Gegend. Eine starke halbe Stunde von da, bei dem Dörfchen Drechtingshausen, erscheinen am Hange des Gebirges die Trümmer der alten[148] Veste Reichenstein und zwischen beiden Schlössern wird man in der mit Gesträuch und Bäumen schön umkränzten Feldflur noch die Ruine eines Gotteshauses gewahr, welches ehemals die Clemenskirche hieß. Im 12ten Jahrhundert herrschte auf Rheinstein ein stolzer, reicher, aber deshalb doch ziemlich geiziger Ritter, der eine einzige sehr schöne Tochter besaß. In diese hatte sich sein Nachbar, der junge Ritter von Reichenstein verliebt und auch ihre Gegenliebe zu gewinnen gewußt. Allein da es nach damaliger Sitte angemessen schien, seine Werbung durch einen Andern anbringen zu lassen und ersterer einen reichen Onkel besaß, der ebenfalls in der Gegend angesessen war, so bat er denselben, für ihn nach Rheinstein zu reiten und den Burgherrn um die Hand seiner Tochter für seinen Neffen zu bitten. Dies that derselbe auch wenigstens theilweise, nur daß er, nachdem er das schöne Mädchen gesehen, nicht für seinen Neffen, sondern für sich selbst um sie warb und natürlich seinen erhaltenen Auftrag ganz verschwieg. Dem Ritter von Rheinstein war er aber als Schwiegersohn vollständig recht, denn er war fast eben so begütert, als er selbst; er versprach ihm also die Hand seiner Tochter und führte ihn zu ihr, um ihr den freilich schon etwas bejahrten Ritter als den Mann, den er ihr bestimmt, vorzustellen. Diese war freilich wie aus den Wolken gefallen, denn sie hatte ihn hier in einer ganz andern Stellung zu sehen erwartet; sie versuchte zwar nach seiner Entfernung ihrem Vater den Zusammenhang der Sache zu erklären, sagte auch, daß sie dem Reichensteiner ihr Wort gegeben und keinen Andern als ihn zum Gemahl nehmen werde, allein Alles war umsonst; denn ganz abgesehen davon, daß ihr Vater jenem sein Wort bereits verpfändet hatte, der Reichensteiner war ihm, verglichen mit seinem Onkel, viel zu arm, als daß er seinetwegen seinen einmal gefaßten Entschluß hätte ändern sollen. Er erklärte, es bleibe bei dem, was er einmal gesagt, und seine Tochter habe sich auf ihre baldige Vermählung vorzubereiten. Zwar theilte sie heimlich durch einen treuen Diener ihrem Geliebten mit, was geschehen und wie er von seinem Onkel hinterlistig getäuscht worden war, allein dies war auch Alles, was sie ohngefähr thun konnte. Ihr Geliebter versuchte nun zwar zu wiederholten Malen sie zu entführen, allein seine Anschläge wurden jedes Mal verrathen und mißlangen gänzlich; der Ritter von Rheinstein aber beschloß, um der Sache auf einmal ein Ende zu machen, seine Tochter so bald als möglich zu vermählen und setzte einen Tag fest, wo sie mit dem ihr aufgedrungenen Gatten in der Clemenskirche für immer vereinigt werden sollte. Schnell brach der gefürchtete Tag heran, der Brautzug zog in hellem Sonnenschein herab in's Thal, die Braut auf ihrem Leibrosse, neben ihr der verhaßte Bräutigam. Man näherte sich schon der St. Clemenskapelle, deren Pforte mit grünem Laube und Blumengewinden bekränzt war, und die Glocke des Kirchleins verkündete die Nähe der heiligen Handlung. Von den Zinnen seiner Burg konnte der Reichensteiner Alles sehen, allein er mußte sich stumm in sein Schicksal fügen, denn hindern konnte er dasselbe doch nicht. Der Zug hielt am Kirchenthore, siehe, da erhob sich ein Schwarm von Bremsen aus dem nahen Busch und eine fiel mit ihrem Stachel auf das Roß der Braut. Hoch bäumte sich das muthige Thier, brach aus dem Zuge durch der Diener Schaar und warf den alten Rheinstein, der es am Zaume fassen wollte, von seinem Hengste herab. Schon rannte es mit der Jungfrau den Strom[149] entlang, zwar jagten ihr mehrere Reiter, ihren Bräutigam an der Spitze nach, um das Roß wo möglich aufzuhalten, allein sei es, daß dasselbe durch die Verfolgenden noch scheuer gemacht ward, sei es, daß seine Reiterin ihm selbst die Richtung angab, auf einmal schwenkte es in einen Hohlweg ab und jagte den Weg zum Reichenstein hinan, ihr zukünftiger Gemahl aber, der unvorsichtig nacheilte und dasselbe schon zu fangen dachte, versah doch den Weg und stürzte mit seinem Renner über einen zackigen Felsen hinab in den Abgrund. Schnell ließ nun der Reichensteiner, der Alles mit angesehen, die Pforte der Burg für den unverhofften Besuch öffnen, aber natürlich gleich wieder schließen, er besetzte die Mauern derselben mit allen seinen Reisigen, um ihren Verfolgern den Muth zu nehmen nachzudringen und ihm seine Beute wieder abzunehmen, allein die Rheinsteiner dachten nicht mehr an Verfolgung, denn der, um dessen Willen sie es eigentlich hätten unternehmen müssen, lag zerschmettert im Abgrunde, und ihr eigener Herr wehrte ihnen und hieß sie umkehren. Er selbst aber ritt mit wenigen Begleitern zu der Burg hinan und begehrte Einlaß, denn er hatte das Ereigniß als einen Fingerzeig Gottes angesehen, der ihm befahl von seiner Härte gegen seine Tochter abzulassen. Gerührt und seine Schuld bereuend trat er vor seine Tochter und den Reichensteiner, legte Beider Hände in einander und segnete ihren Bund. So wurden sie ein glückliches Paar und das nächste Morgenlicht sah ihre Trauung in der Kirche des h. Clemens.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 148-150.
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