185. Die heidnische Jungfrau auf dem Schlosse zu Glatz.

[197] (S. Chr. Aelurius, Glatzische Chronik. Leipzig 1625, S. 125 etc. Darnach bei Büsching S. 12 etc. und bei Wedekind S. 143 etc.)


In uralten Zeiten soll zur Heidenzeit eine heidnische Jungfrau das Land Glatz regiert haben, allein in eitler Wollust, Ueppigkeit und Unzucht gelebt und sich der gräulichsten Zauberei beflissen haben. Sie war so kriegerisch und gewandt, daß sie mit ihrem Bogen und Pfeilen bis zu der großen Linde bei Eisersdorf an der Grenze des Glatzer Kreises (1 Meile südöstlich von Glatz an der Landecker Straße) schießen konnte. So wettete sie einstmals mit ihrem Bruder um einen hohen Preis, wer mit dem Bogen den Pfeil am weitesten treiben werde, ihr Bruder erreichte kaum den halben Weg, sie aber trieb ihren Pfeil vom Schlosse zu Glatz fast noch einmal so weit, nämlich bis zu der vorerwähnten großen Linde bei Eisersdorf, und gewann die Wette.

Diese Jungfrau hat nicht blos mit vielen Andern, sondern mit ihrem eigenen Bruder abscheuliche Unzucht getrieben, weshalb man ihr fleißig nachstellte, um sie gebührlich zu bestrafen. Von ihrer Zauberei war aber das ein Zeichen, daß sie starke Hufeisen mit den Händen zur Kurzweil zerbrach, ihren Zauberkünsten wegen gelang es aber nicht, ihrer habhaft zu werden, weil sie immer wieder entrann. Endlich glückte dies doch und nun soll sie in einem großen Saale am Thore, zwischen dem Ober- und Niederschlosse fest vermauert und darin umgekommen sein. Zum ewigen Gedächtniß dieser Begebenheit hat man an der Mauer über dem tiefsten Graben ihr Bildniß, das aus einem Stein ausgehauen war, eingemauert. Diesen ausgehauenen und eingemauerten Stein hat man bis ins 17. Jhdt. hinein allen Fremden gezeigt, die das Schloß zu Glatz besuchten. Sonst stand auch ihr Bild, schön und sauber gemalt, in dem sogenannten grünen Saale des Schlosses zu Glatz. An der Stelle der sogenannten Petri- oder Peter-Pauls-Kirche auf dem Oberschlosse hat bis ums Jahr 936, wo jene erbaut ward, ein Götzentempel, das sogenannte heidnische Kirchlein gestanden, aus dieser ward ein Götzenbild lange in der Burg zum Andenken aufbewahrt, kam aber im Jahre 1743 mit einer Trommel42, dem Bogen und dem goldenen Haar[197] jener heidnischen Jungfrau (Valeska43), welches bis zum Jahre 1622 den Besuchern jenes Kirchleins hoch an der Wand an einem Nagel hängend gezeigt ward, nach Berlin in die Kunstkammer.

Man erzählt nun, daß sich diese Jungfrau in ihrer alten Kleidung noch oft auf dem Schlosse zu Glatz sehen läßt, sie thut aber Niemandem etwas zu Leide, wenn man sie zufrieden läßt und nicht hämisch von ihr spricht. Ein Soldat, der dies einst that, als er auf dem Posten stand, erhielt auf einmal von ihrer eiskalten Hand einen gewaltigen Backenstreich. Im Jahre 1621 ward der Geistliche Aelurius zu einem Soldaten gerufen, um ihm das h. Abendmahl zu geben, derselbe war im Gesicht sehr übel zugerichtet und sagte auf das Befragen des Geistlichen, wo dies herrühre, er hätte das Haar der heidnischen Jungfrau aus dem Kirchlein weggenommen, worauf sie in der Nacht zu ihm gekommen sei und ihn schrecklich gemißhandelt habe, wahrscheinlich würde sie ihn umgebracht haben, hätte nicht einer seiner Kameraden auf sein Bitten das Haar wieder in das Kirchlein zurückgetragen und dort aufgehängt.

42

Nach Andern wäre dies die Trommel, welche mit der abgezogenen Haut des Hussitengenerals Ziska überspannt war.

43

Aelurius sagt, er wisse nicht ob diese Jungfrau die Königin Libussa, oder die Polin Velda, oder die böhmische Zauberin Vauska gewesen sei.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 197-198.
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