198. Der Gang nach dem Hummelberge.

[206] (Poetisch behandelt von Kypselos [Kastner] a.a.O. S. 15 etc.)


Es lebte einmal eine arme Wittwe mit einem einzigen Söhnchen in einem Dorfe in der Nähe des Hummelberges, die nichts verdienen konnte und bereits seit drei Tagen nichts mehr zu essen hatte. Es war gerade am heiligen Christtag, sie wußte sich keinen Rath, wo sie etwas hernehmen solle, da fiel ihr ein, daß einst noch bei Lebzeiten ihres Mannes ein Fremder bei ihr eingekehrt war, den hatten sie nach besten Kräften gepflegt und gespeist und zum Abschied hatte er ihr gesagt, im Schooße des Hummelberges lägen große Schätze vergraben; in der Christnacht könne ein frommer, tugendhafter und unverschuldet in Armuth gerathener Mensch dieselben heben, denn da lägen sie offen da, wer aber unreines Herzens sei, der werde von furchtbaren Schlangen verschlungen. Bis dahin hatte die Arme nie wieder an diese Mittheilungen gedacht, jetzt aber, wo die Noth am größten war, dachte sie doch, es sei besser den gefährlichen Weg zu gehen, als mit ihrem Kinde zu verhungern. Sie machte sich also auf den Weg, indem sie ihren Knaben in seinem ärmlichen Bettchen zurück ließ, da er eben eingeschlafen war, allein[206] noch war sie kaum wenige Schritte von ihrer Behausung entfernt, als sie ihn ängstlich schreien hörte, ihre Mutterliebe erlaubte ihr nicht weiter zu gehen, ohne nachzusehen, was dem Kinde fehle, sie kehrte also um und als sie das Kind erwacht fand, nahm sie es auf den Arm, redete ihm zu und suchte es durch das Versprechen, ihm Essen und Spielsachen geben zu wollen, zu beruhigen. So gelangte sie denn mit ihrer Last auf beschwerlichem Schnee- und Eispfade bis an den Fuß des Hummelberges. Da hörte sie es tief unten im Grunde des Berges rauschen und dröhnen und sie sah denselben unten auseinander bersten, sie aber scheute sich nicht, sondern stieg muthig in die Tiefe hinab, hier trat ihr eine weiße Gestalt mit fliegenden schwarzen Haaren, einen spitzigen Dolch und ein Schlüsselbund in den Händen, aber sonst mit Blut befleckt aus dem Abgrunde entgegen. Sie ließ sich aber nicht stören, setzte ihr Kind nieder auf die Erde und suchte sich nun die zwischen Schutt und Steinen herum zerstreut liegenden Goldstücke auf. Als sie genug in ihrer Schürze zusammengehäuft zu haben glaubte, stieg sie wieder hinauf in die Oberwelt, indem sie beabsichtigte ihren Knaben nachzuholen, denn um ja recht viel fortbringen zu können, hatte sie ihn einstweilen unten gelassen. Aber ach, wie ward ihr, als es auf einmal drei schlug, die Stunde, bei welcher sie wußte, daß der Berg sich wieder schließen mußte. Und so geschah es auch, mit dem Schlage der Glocke dröhnte das Innere des Berges und unter Blitz und Donner schloß sich der Schlund des Berges wieder, sie aber sank auf ihre Kniee nieder und klagte sich jammernd als Mörderin ihres Kindes aus schnöder Habsucht an. Verzweifelnd warf sie die gesammelten Goldstücke weg und eilte wie von Furien gejagt durch Gestrüpp und Moor nach ihrer Hütte zurück. Dort traf sie ihre Schwester an, welche aus weiter Ferne gekommen war, um ihr Trost und Hilfe in ihrer Noth zu bringen. Verzweifelt beichtete sie ihr, was sie gethan und wollte ihrem Leben selbst ein Ziel setzen, allein diese sprach ihr Trost zu und hieß sie Geduld haben bis zur Christnacht des nächsten Jahres, dann solle sie noch einmal den Gang wagen, sie werde gewiß ihr Kind munter und gesund wiederfinden. Da faßte sie wieder Hoffnung und gelobte sich hoch und theuer, sie wolle entweder ihr theures Kind retten oder selbst in dem Schlunde des Berges ihr Grab suchen. Und so verging unter Harren und Bangen ein ganzes Jahr, und als die Christnacht endlich wieder herankam, da stand auch die Wittwe zur Stunde wieder am Hummelberge und abermals that sich das Innere desselben auf und siehe, tief unten auf dem Boden saß ihr Knabe und hielt in seiner zarten Hand eine Frucht aus fremdem Lande, die hatten ihm heilige Engel tagtäglich dorthin gebracht und ihn so ein ganzes Jahr ernährt. Als ihr nun der Knabe harmlos entgegenlachte, und sie ihn zärtlich in ihre Arme schloß und schnellen Laufes mit ihm aus dem Berge hinauseilte, da schien auch das Gesicht des Hummelweibes, welches wiederum bei den Schätzen erschien, freundlicher und milder zu blicken, und wie sie auch die Goldstücke am Boden anlachten, sie rührte keines an, sondern ließ Schätze Schätze sein und eilte frohen und dankerfüllten Herzens ihrer Heimath zu. Seit der Zeit soll noch Mancher in der Christnacht sich in den Hummelberg gewagt haben um Schätze zu finden, allein herausgebracht hat Niemand etwas, denn der Eine war nicht fehlerrein, der Andere aber nur zum Schein arm.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 206-207.
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