199. Die Hirtensteine bei Glatz.

[207] (Poetisch behandelt von Kypselos [Kastner] S. 1 etc.)


Wenn man die Gipfel des Schneebergs erstiegen hat und von da den hohen Fall der Wölfel betrachtet, da sieht man auf dem nördlich von der Habel aufsteigenden Hügel fünf Felsen, welche sich grau und baumhoch in die Luft thürmen, die jede Minute den Einsturz zu drohen scheinen. Ihr Ursprung soll aber folgender sein.

Einst graste an dem Abhange des Berges tagtäglich eine Rinderheerde, gehütet von vier Knaben. Dieselben trieben sich den ganzen langen Tag hier herum, machten aber nichts als böse gottlose Streiche und erfüllten die ganze Umgegend mit ihrem wüsten Geschrei. Einst waren sie auch da und es war die Zeit gekommen, wo sie Mittag machen sollten. Ihr Vater aber hatte ihnen nur hartes, schimmliges, trockenes Brod mitgegeben und dieses war ihnen zu schlecht, da nahmen sie es, warfen es auf die Erde, traten mit Füßen darauf herum und spuckten darauf. In der Nähe pflügte ein Bauersmann, er sah den Frevel, hörte ihre gottlosen Verwünschungen, aber es rührte ihn nicht, kein Wort der Mißbilligung kam aus seinem Munde, im Gegentheil er lachte darüber. Da umzog sich auf einmal der Himmel, es ward schwarze Nacht und aus den zu Bergen aufgethürmten Wolkenmassen zischten feurige Blitze herab und eine furchtbare Stimme erscholl und rief: »Ihr Sünder und Du böser Mann, werdet zu Steinen, und lehrt als Steine der Nachwelt, daß Niemand straflos freveln darf!« Als aber das Unwetter sich wieder verzogen hatte und die Sonne wieder in ihrer Klarheit aus den Wolken hervortrat, da waren die Knaben und der Bauersmann verschwunden und an der Stelle, wo sie vorher gestanden und gefrevelt, sah man jetzt fünf graue Felsenmassen. Sie waren zu Stein geworden. Das sind die sogenannten Hirtensteine.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 207-208.
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