205. Die steinerne Jungfer und das Schwein auf dem Zobtenberge.

[226] S. Burghart S. 101 etc. [mit Abbild. auf Tafel 11 und 12]. Eine romantische Sage hierüber bei Ziehnert Bd. III. S. 235 etc.)


Am Tage Mariä Heimsuchung findet gewöhnlich eine sehr zahlreiche Wallfahrt auf den Zobten statt. Wenn nun da einer der Besucher des Berges auf der Nordseite den Weg hinabgeht, ohngefähr die Hälfte des Berges hinabgestiegen ist und dem rechter Hand nach der Striegelmühle führenden Gleise folgt, so erblickt er linker Hand oder westwärts nicht weit von der Wegscheide zwischen der Zobten- und Striegelmühlen-Straße ein von Stein gehauenes, aber durch die Zeit, das Wetter und unartige Menschen[226] ziemlich beschädigtes, liegendes Frauenbild nebst einem neben ihr stehenden Bären vor sich. Ersteres liegt und hat eine Länge von 5 Ellen, ohnerachtet ihm die Füße und der Kopf fehlen, der Bär, welcher neben ihr sitzt, ist ohngefähr 3 Ellen hoch und scheint die Tatze gegen ihre rechte Achsel auszustrecken. Sie sind mit Moos bewachsen und beide aus grobem Marmor gemeißelt. Der Unterleib der Frau bis auf die Füße scheint bekleidet zu sein, die breite ganz flache Brust, sowie der linke Arm aber sind bloß. Auf dem Schooße hat sie einen noch sehr sichtbaren und fast 3 Ellen langen, etwas nach der linken Seite gekrümmten Fisch liegen, der ihr noch weit bis über das Gelenk des linken Ellenbogens mit dem Kopfe reicht. Auf diesem Fische und dem Kopfe des Bärs ist allerdings ein Kreuz tief eingegraben, allein dies ist wahrscheinlich nur ein Grenzzeichen zwischen dem Zobten und der Striegelmühle, ebenso die über dem Schwanze des Fisches eingekratzte Zahl 1661 jedenfalls von späterer Hand hingefügt worden.

Dieser Stein soll aber zur Erinnerung daran dienen, daß einst eine auf dem Berge wohnende Fürstin (ob Maria Vlasta oder eine Schweidnitzer Herzogin, weiß man nicht) einen zahmgemachten Bär zu ihrem Vergnügen und Zeitvertreib unterhielt und ganz frei herumgehen ließ. Nun ward dieser Bär einstmals krank, und man rieth der Fürstin, sie solle dem Patienten einen Hecht zu essen geben, so werde er davon wieder zu seiner Gesundheit gelangen. Hiermit schickte die Fürstin, welche mit dem armen Kranken großes Mitleid hatte, eine von ihren Mägden nach Zothen, die Arznei, nämlich den vorgeschlagenen Hecht zu holen. Während dieser Zeit ist aber der Bär davon gelaufen und hat das Mädchen mit dem Hechte am Wege vom Städtchen Zothen heraus getroffen und derselben, ohne weitere Umstände, statt des Fisches den Kopf abgebissen. Da man ihm nun, sobald er vermißt ward, nacheilte, hat man ihn an jener Stelle getroffen und ihm zum Lohne seiner schändlichen That den Kopf abgeschlagen und zum Andenken an diese jämmerliche Mordgeschichte an jener Stelle das Steinbild aufgerichtet.

Geht man nun denselben Weg etwas weiter hinab, so findet man fast am Fuße des Berges, rechter Hand oder ostwärts ein gleichfalls in Stein gehauenes, ohngefähr 21/2 Elle langes Schwein in liegender Stellung, welches wahrscheinlich ein Grenzstein gewesen ist, den der Herzog von Schweidnitz Bolco hierher setzen ließ, um zu zeigen, wieweit sich sein Gebiet erstrecke, denn das Wappen von Schweidnitz ist ein Schwein.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 226-227.
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