226. Die Todtenmesse auf Leubus.

[261] (Nach Gödsche S. 76 etc.)


Im siebenjährigen Kriege hatte das Kloster Leubus sehr viel zu leiden, weil gerade in dieser Gegend die verschiedenen kriegführenden Partheien sehr häufig einander mit ihren Verwüstungen ablösten. Deshalb hatten die Mönche dasselbe auch ganz verlassen und nur ein Klosterverwalter mit einigen Knechten[261] waren zurückgeblieben, um nach Möglichkeit das Wenige, was die marodirenden Soldaten vom Klostereigenthum noch übrig gelassen, zu schützen. In den untern Geschossen sah es wüste und leer aus, als daher wiederum Preußische Truppen einrückten, mußten selbige in dem Flecken selbst untergebracht werden, ihrem Offizier aber ward eine Wohnung in dem obern Stockwerck des Klostergebäudes angewiesen. Derselbe bezeigte sich gegen den auf einem Seitenflügel des Klosters wohnenden Klostervogt so freundlich und herablassend, daß es demselben nicht wenig auffiel, als derselbe am nächsten Morgen blaß und verstört aussah. Auf die Frage, was ihm geschehen sei, gab er keine Antwort. Dieselbe Erscheinung wiederholte sich aber an den beiden nächsten Tagen, der Offizier ward immer blässer, immer nachdenkender, immer wortkarger. Endlich am Morgen des vierten Tages sprach er sich gegen den Klostervogt aus und fragte ihn, ob er nicht wisse, daß es in dem ihm zum Schlafzimmer angewiesenen Gemache spuke. Jener versetzte, er habe allerdings mancherlei vage Gerüchte über unheimliche Vorgänge in seinem Zimmer gehört, Näheres aber wisse er nicht, er müsse also den Herrn bitten, ihm zu erzählen, was ihm begegnet sei. Derselbe berichtete nun Folgendes. Er war den ersten Abend zeitig zu Bett gegangen, hatte aber zwei Kerzen an seinem Lager brennen lassen, seine geladenen Pistolen aber ebenfalls daneben auf einen Tisch gelegt. Er war schnell eingeschlafen, indeß kurz zuvor ehe die Uhr des Klosterthurmes Mitternacht geschlagen erwacht, es kam ihm vor, als würden in einiger Entfernung von seinem Schlafzimmer Thüren auf und zu gemacht, und schließlich vernahm er einen immer näher kommenden Chorgesang. Derselbe ward immer lauter und schien endlich vor seiner Thüre zu sein, dieselbe sprang auf und herein traten sechs Chorknaben mit brennenden Kerzen im Kirchenornate, ihnen folgten zehn Mönche, welche auf ihren Schultern einen offenen Sarg trugen, in dem ein Todter ihres Ordens lag. Dann kamen mehrere andere Mönche hinterdrein, der Leichenzug ging hierauf einmal im Zimmer herum und es kam dem in einer Art Starrsucht im Bette liegenden Offizier vor, als wenn die Augen der sämmtlichen Leidtragenden, selbst die des Todten sich auf ihn richteten. Sie ließen dann den Sarg in der Mitte des Zimmers nieder, die Kerzen wurden umhergestellt und der älteste der Mönche begann an dem Haupte der Leiche ein förmliches Todtenamt zu halten. Als dasselbe beendigt war, hoben die Träger den Sarg wiederum auf ihre Schultern und schritten in derselben Ordnung und Reihenfolge, wie sie gekommen waren, wieder zur Thüre hinaus. Als der letzte Mönch die Schwelle überschritten hatte, fiel die schwere Thüre von selbst zu und die Klosteruhr schlug Eins, die ganze schauerliche Procession hatte eine Stunde gedauert.

Zwar hatte der Offizier, der nicht wieder einschlafen konnte, das Ganze für eine Vision eines lebhaften Traumes oder für ein Alpdrücken gehalten, allein da die zwei darauf folgenden Nächte ganz dieselbe Erscheinung wiedergekommen war, so blieb ihm nichts übrig, als dem Schloßverwalter gegenüber sein Herz auszuschütten und denselben zu bitten, ihm ein anderes Schlafgemach anzuweisen, was natürlich auch sofort und zwar in demselben Flügel, wo jener selbst wohnte, geschah. Hier hat sich denn auch weiter nichts Aehnliches ereignet.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 261-262.
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