228. Der kräftige Jesusnamen.

[263] (S. Misander, Deliciae Historicae Bd. I. S. 626.)


In Oberschlesien hat es vor weniger Zeit sich zugetragen, daß eine vornehme, aber gottselige Frau von adeligem Stande eine andere adelige Wittwe aus der Nachbarschaft besuchte. Nachdem sie etliche Zeit beisammen gesessen und allerhand Gespräche unter sich gepflogen, traten auf einmal zwei ansehnliche wohlgekleidete Junker in das Zimmer, von denen die Wittwe ihre Nachbarin fragte, welcher unter diesen Cavalieren ihr wohl am Besten gefalle und welchen sie für den feinsten ansehe. Die Nachbarin antwortete, es stehe ihr nicht wohl an, darauf eine Antwort zu geben, da sie doch wohl wissen werde, daß ihr Gemahl noch am Leben sei. Die Wittwe aber meinte, dies habe nicht viel auf sich, sie wären eben beide allein und sie könne immer sagen, welchen von den Beiden sie sich wählen würde, wenn ihr die Wahl frei stände. Die Nachbarin dachte nun, es läge der Wittwe, die vielleicht damit umginge, ein neues Liebesband zu knüpfen, daran, ihre Meinung zu wissen, und sie könne ihr somit durch Aeußerung ihrer Meinung einen Gefallen thun, sie sagte also: »Wenn sie einen wählen solle, so rathe sie zu dem mit den rothen Aermeln.« Kaum war aber das Wort aus ihrem Munde heraus, da hatte sie auch den bezeichneten Cavalier an der Hand, der sie mit freundlichen Liebkosungen in den nächsten, auf einmal im Zimmer entstandenen Erker führte. Die gute Frau ward darüber heftig bestürzt und rief in ihrer Angst: »Ach, Herr Jesus, was geschieht mir?« In einem Augenblick verwandelte sich Alles, der höllische Buhle war verschwunden, sie aber befand sich in einem unsaubern Schweinstalle, seelenfroh, daß sie aus solcher grausamen Noth und teuflischer Gewalt durch die Hilfe Gottes erlöst worden war.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 263.
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