262. Der Prinzessinstuhl bei Fischbach.

[282] (S. Ziehnert Bd. III. S. 246 etc. Poetisch behandelt von Kahlert bei Müller S. 426 etc.)


Auf dem Falkenstein bei Fischbach im Hirschberger Kreise ist ein in Granit gehauener Sitz, der sogenannte Prinzessinstuhl. Von ihm erzählt man sich folgende Sage.

In dem freundlichen Boberthale weidete täglich ein junger Hirt eine Heerde muntrer Lämmer und blieb dort von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Als er eines Tages seiner grasenden Heerde folgte, kam er auch zu den Ruinen der alten Veste Falkenstein, deren Fuß von dichtem Walde umgeben war. In dieses Dickicht führte ein wenig betretener, aber immerhin gangbarer Pfad. Unwillkürlich wandelte der Hirt auf demselben fort und kam, seiner Neugierde nachgebend, endlich in die tiefste Waldnacht, ohne dabei an seine Heerde zu denken. Es ward so finster, daß er sich mit[282] seinem Stabe forttappen mußte, allein plötzlich öffnete sich vor ihm der Wald und er stand vor einem reizenden, im frischen Frühlingsgrün prangenden Thale. Als er aber hinauf zur Höhe des Falkensteines blickte, da sah er eine wunderschöne Jungfrau mit blonden Locken auf einer schroffen Felswand sitzen und an einem silberweißen Rocken spinnen. Die selbe sah von der schwindelnden Höhe freundlichen Blicks auf den Schäfer herab, in demselben Augenblicke aber schlug in dem nahen Dörfchen die Mittagsstunde und siehe die Jungfrau war verschwunden. Noch lange schaute der Hirt nach dem Orte hin, wo sie gesessen hatte, allein sie kam nicht wieder und er mußte, da es Abend ward, wieder zu seiner Heerde zurückkehren. Am nächsten Morgen konnte er es kaum erwarten, bis der Aufgang der Sonne ihm erlaubte wieder auszutreiben. Natürlich wählte er dieselbe Richtung wieder und traf auch die Jungfrau wiederum auf der Felsenwand, allein auch heute verschwand sie wie am Tage zuvor genau mit dem Schlage Zwölf der Mittagsstunde. Dasselbe geschah auch den dritten Tag und so vergingen Tage und Monden immer mit derselben Erscheinung, da kam der Johannistag heran. An diesem schwebte sie feenleicht zu dem Hirten hernieder und sprach: »Ich heiße Hildegard und war einst Herrin der Burg Falkenstein, deren Trümmer Du vor Dir siehst. Viele Ritter warben um meine Liebe und meine Hand, aber ich wies sie alle stolz zurück, denn ich war aus dem piastischen Königsgeschlechte entsprossen und wollte meine Hand nur einem Fürsten reichen. Da kam endlich wirklich ein morgenländischer Prinz, den der Ruf meiner Schönheit hierher geführt hatte, er war schön und tapfer, mir aber immer noch nicht recht, und so verweigerte ich auch ihm meine Hand. Diesmal ward ich für meinen Stolz schwer bestraft, er rächte sich und mit Zauberern verbündet zerstörte er meine schöne feste Burg und bannte mich in eine öde finstere Höhle, die ich nur zur Frühlingszeit verlassen darf, um auf diesem schroffen Felsen mein Unglück zu beweinen. Hättest Du Muth genug, durch die finstere Pforte, die der schwarze Wald dort jedem gewöhnlichen Menschenauge verbirgt, in mein grausiges Gefängniß zu dringen und mich zu retten, so sollten Dich meine Liebe und unermeßliche Schätze lohnen.« So sprach sie und verschwand. Der Schäfer aber senkte unwillkürlich seinen Blick zur Erde und sah einen blitzenden Dolch zu seinen Füßen liegen. Er ergriff ihn und eilte hastig durch die Waldschlucht, wo die Jungfrau ihm den Eingang zur Höhle bezeichnet hatte. Er fand sie auch, drang muthig in dieselbe hinein, allein sehr bald überfiel ihn ein banger Schauer, denn um ihn war undurchdringliche Nacht, nur hin und wieder von schwefelfarbigen Blitzen durchkreuzt, dumpfe Donnerschläge rollten durch das Gewölbe, gespenstige Unholde streckten nach ihm ihre Krallen aus, Ungeheuer fletschten bluttriefende Zähne nach ihm, als wollten sie ihn verschlingen, über ihm prasselten die Gewölbe, als wollten sie auf ihn herabstürzen, und unter ihm erzitterte der Boden, als wollte er sich öffnen und ihn verschlingen. Da verließ den armen Schäfer der Muth und er rief mit bebender Stimme: »Hildegard ich kann Dich nicht erretten!« Kaum hatte er aber die Worte gesprochen, da verschwand auch der ganze Geisterspuk, in der Mitte der Höhle aber stand die Jungfrau von Sternenlicht umflossen und sprach mit sanfter, aber wehmüthiger Stimme: »Du siehst mich nie wieder, nun fortan auch kein anderer Sterblicher, denn gemeine[283] Menschenkraft kann den Zauber nicht lösen, mit dem ich gebannt bin. Wenn aber an und auf dem Falkensteine eine Fahne die Gegenwart eines Fürsten verkündet, welcher der Tyrannei Zauberfesseln gebrochen und Schlesien die alte Freiheit seiner Urbewohner wieder gegeben hat, dann bin auch ich befreit.« Nach diesen prophetischen Worten zerfloß sie im Nebel und der Hirt kehrte traurig zurück um seine Heerde zu suchen, die er aber nicht wieder fand. Von Stund an aber siechte er in dumpfem Hinbrüten dahin und am Morgen des nächsten Johannistages fand man ihn am Fuße des Falkensteins sanft verschieden. Im Jahre 1822 kam das Dorf Fischbach in den Besitz des jetzt regierenden Königs Wilhelm von Preußen und seit dieser Zeit weht auch eine Fahne von dem Schlosse daselbst herab, ob aber die Jungfrau gleichzeitig aus ihrem Bann gelöst worden ist, darüber sagt der Volksmund nichts.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 282-284.
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