270. Die Perlenschnur der Familie von Maltzan.

[292] (Nach Gödsche S. 113 etc.)


Im Jahre 1586 verheirathete sich der Freiherr Joachim von Maltzan, ein pommerscher Edelmann, mit der Enkelin des damaligen Besitzers von Militsch, Heinrichs II., eines Freiherrn von Kurzbach. Diese hieß Eva Regina und war eine Tochter Popels von Lobkowitz, eines böhmischen Freiherrn.

Am 12. Mai des Jahres 1588 ward der erste Sohn aus dieser Ehe zu Militsch, wo sich das junge Paar damals aufhielt, getauft und in der darauf folgenden Nacht hatte die junge Frau einen sonderbaren Traum. Es war ihr nämlich, als wenn in dem Gemache, in welchem sie und ihr Söhnlein im Schatten einer entfernt auf dem Fußboden stehenden Lampe schliefen, in einem Winkel der Fußboden sich öffne und ein kleiner, kaum eine halbe Elle hoher silberbärtiger Greis aus der Erde heraufsteige und sich mit trauriger und bittender Miene ihrem Bette nähere. Auf ihr Befragen, was sie für ihn thun könne, versetzte er: »nichts weiter, als daß sie die Lampe von der Stelle wegnehme, wo sie jetzt stehe. Er und seine Familie seien nämlich Wichtelleute und auf einem Zuge in fremde Länder begriffen, sie hätten im Grunde des Schlosses gerastet, dort sei seine Enkelin in Kindesnöthe verfallen, habe einen Sohn zur Welt gebracht und Mutter und Kind würden durch das aus der Lampe, die gerade über dem Orte, wo das Bett der Wöchnerin sich befinde, stehe, tropfende Oel behelligt.« Nachdem er so gesprochen, verschwand der Greis und die Freifrau erwachte. Sie hatte am nächsten Morgen das Traumgesicht vollständig vergessen, allein in der folgenden Nacht wiederholte es sich genau so, wie in der vorhergehenden, nur daß die Miene des kleinen Greises noch viel trauriger war. In der dritten Nacht träumte sie genau dasselbe wieder, nur daß der Greis ihr sagte, er komme jetzt zum letzten Male um ihr zu sagen, seine Enkelin und ihr Kind seien durch das herabtropfende heiße Oel sehr krank geworden und er bitte sie also, sie möge doch endlich seine Bitte erfüllen. Am andern Morgen war das erste, was die Freifrau that, daß sie der Wärterin befahl, die Lampe wegzusetzen, sie glaubte nämlich, es könne ihrem Kinde schaden, wenn sie den Willen des Zwerges nicht erfülle. Sie erzählte dann auch ihren dreimaligen Traum ihrem Gemahl, der sie aber auslachte und das Ganze für eine Ausgeburt ihrer aufgeregten Phantasie erklärte. In der neunten Nacht kehrte jedoch der Greis wieder, diesmal aber mit heiterem und freudigem Gesichte, in der Hand trug er eine Perlenschnur. Er verneigte sich tief vor ihr und sprach: »Edle Frau, zum Dank dafür, daß Ihr meine Bitte gehört und die Lampe entfernt habt, wodurch meine Enkelin und ihr Kind wieder genesen sind, schickt sie Euch diese Perlenschnur.[292] So lange dieselbe im Besitze des Oberhauptes der Familie Maltzan oder seiner Gattin ist, wird dieselbe blühen und grünen und Euer Gatte namentlich schon zeitliche Ehre haben. Kommt sie aber je in andere Hände, dann geht auch diese Wirksamkeit der Schnur verloren. Desgleichen wird jedesmal die Farbe einer dieser Perlen schwinden, wenn das Oberhaupt der Familie Maltzan sterben soll. Hütet Euch aber, je eine solche Perle muthwillig zu verletzen, denn dies würde stets ein Unglück über Euer Haus herbeiführen!« Mit diesen Worten übergab ihr der Greis die Perlenschnur und verschwand, als aber die Freifrau am andern Morgen erwachte, da lag dieselbe auf ihrem Bette und sie wußte nun, daß die Erscheinung kein bloßer Traum gewesen sei. Sie zeigte sie ihrem Gemahl und Andern, allein Niemand konnte ihr Aufschluß über dieses geheimnißvolle Geschenk geben. Sie bewahrte sie aber heilig als ein Palladium ihrer Familie und schon nach zwei Jahren fand sie die Vorhersagung des kleinen Greises bestätigt. Als sie nämlich dieselbe zufällig einmal ansah, da sah sie, daß eine der Perlen, die von milchartiger, etwas gelblicher und glänzender Farbe waren, plötzlich grau geworden war und gleichsam abzusterben schien. Wenige Tage darauf kam die Nachricht, ihr Großvater, der alte Freiherr von Kurzbach sei gestorben (den 22. Juni 1590) und habe ihrem Gemahle, mit Uebergehung seiner Namensverwandten in Trachenberg, die Standesherrschaft Militsch vermacht.

Vier und zwanzig Jahre später (1616) gab der Freiherr Joachim ein großes Gastmahl zur Feier des Geburtstages seiner Gemahlin; bei dieser Gelegenheit kam man auch auf die Perlenschnur zu reden, dieselbe ward herbeigeholt, herumgereicht und beschaut, und es wurden verschiedene Ansichten über die Masse laut, aus welcher die Perlen wohl bestehen möchten, worüber übrigens auch späterhin selbst die geschicktesten Juweliere nicht einig geworden sind. Da nahm der Freiherr, trotz des Verbotes des Greises, im Weinrausch ein Messer und schlug ein Stück von einer Perle ab, ohne jedoch damit seinen Zweck zu erreichen, denn Niemand kannte die Substanz der Perlen. Kaum war einige Zeit vergangen, da erhob sich, während die Gäste noch bei Tafel saßen, ein heftiger Gewittersturm, Blitze fuhren vom Himmel hernieder und der eine beschädigte die Schloßmauer. Ein zweiter aber zündete ganz in der Nähe des Schlosses und das beste Vorwerk des Freiherrn ging in Flammen auf. Die Nacht darauf, nachdem die Gäste sich entfernt hatten und bereits Alles schlafen gegangen war, erfolgte plötzlich zwischen zwölf und eins ein heftiger donnerähnlicher Schlag und eine Erschütterung des ganzen Schlosses folgte nach. Der neuerbaute Schloßthurm war eingestürzt und fünf Personen, welche darin gewohnt, wurden unter seinen Trümmern begraben. Da bereute der Freiherr schmerzlich seinen Leichtsinn und nahm seiner Familie das heilige Versprechen ab, daß sie die Perlenschnur als ihr kostbarstes Besitzthum bewahren wollten. Seinen den 7. Januar 1625 erfolgten Tod verkündete seiner Gemahlin wiederum das Absterben einer der Perlen. Seitdem ist die Perlenschnur bei der Familie geblieben, jedoch später an eine Nebenlinie gekommen. Im Jahre 1817 verkündete abermals das Absterben einer solchen Perle den Tod des Aeltesten der Familie.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 292-293.
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